Beutewelt 06 - Friedensdämmerung
sich bereits vorstellen, wie erhaben es eines Tages aussehen würde.
Die „Halle der Rus“ war in Zukunft für große Saalveranstaltungen vorgesehen und sollte nicht weniger als 10000 Besuchern Platz bieten. Doch diese architektonischen Blickfänge waren erst der Anfang von Tschistokjows Umbauplänen für St. Petersburg. Auf Dauer schwebte ihm eine umfassende Neugestaltung der Hauptstadt seines neuen Russlands vor, die ein Gegenstück zu den stets gleichen und hässlichen Großstädten Westeuropas werden sollte.
„Eines Tages werde ich mitten in Russland ein Rom der Neuzeit errichten lassen. Eine Stadt, deren einmalige Herrlichkeit noch viele nachfolgende Generationen beeindrucken wird“, erklärte das russische Staatsoberhaupt seinen Beratern manchmal in stillen, ruhigen Stunden, wenn er sich fernab des politischen Tagesgeschäftes, seinen Visionen widmen konnte.
„Es ist nicht das Ziel der Menschheit als Sklavenmasse dahin zu vegetieren, sondern sich zum Besten und Höchsten zu entwickeln. Die Krönung dieser Entwicklung muss es schließlich sein, dass ein neuer und besserer Mensch entsteht, der nicht nur diesem Erdball den Stempel seiner wegweisenden Zivilisation aufdrückt, sondern auch eines Tages zur nächsten Entwicklungsstufe aufsteigen kann. Diesen Menschen, den Träger der Erfindung und des Schaffens, habe ich in meinem Buch „Der Weg der Rus“ nicht umsonst den Lichtgeborenen Menschen genannt. Seine Erscheinung und sein Geist werden hell wie das Licht sein, doch damit er geboren werden kann, müssen wir das Dunkle besiegen und es in den Abgrund zurückschleudern.
Diese nächste Stufe, die ich meine, und zu deren Erklimmung einzig der Lichtgeborene Mensch fähig ist, wird der endgültige Schritt in den Weltraum sein, auf dass er sein Wesen und seine Zivilisation über die Sterne verbreiten kann“, sagte Tschistokjow manchmal zu seinen oft recht bodenständigen Mitstreitern, die ihm bei seinen Vorstellungen vielfach nicht folgen konnten.
Lediglich Wilden und eine kleine Anzahl seiner Berater und Freunde waren gewillt, sich mit dem Anführer der Freiheitsbewegung auf solche philosophischen Gespräche einzulassen. Frank gehörte ebenfalls zu dieser Gruppe, denn er war alles andere als nur ein dummer Soldat. Kohlhaas liebte Tschistokjows visionäre Gedankenausflüge, bewunderte seine Vorhaben.
Als Alf und er ihre Blicke über den gewaltigen „Platz der Rus“ schweifen ließen, hatten sie bereits einen Vorgeschmack von dem bekommen, was Tschistokjow für die Zukunft in großem Stil für ganz Russland plante. Sie waren beeindruckt.
Schließlich kam der Weltpräsident im März 2045 erneut nach St. Petersburg und diesmal folgten ihm zwei weitere Brüder. Sie waren ebenfalls führende Köpfe der internationalen Logenorganisation und Mitglieder im Rat der Weisen. Ihre Aufgabe war es, sich ebenfalls ein Bild von Artur Tschistokjow zu machen und es dem Vorsitzenden des obersten Gremiums persönlich darzulegen. Das Gespräch fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, so wie es das russische Staatsoberhaupt wünschte, und die Scharen von Reportern mussten vor den verschlossenen Türen des Präsidentenpalastes warten.
„Es ist beeindruckend, was sie seit meinem letzten Besuch hier in St. Petersburg alles haben erbauen und erneuern lassen. Diese Stadt ist wirklich schön geworden“, lobte der Weltpräsident seinen Verhandlungspartner und seine beiden Begleiter setzten ein oberflächliches Lächeln auf.
„Gefällt es Ihnen hier etwa besser als in New York, obwohl diese Metropole doch von so engagierten Menschenfreunden wie Ihnen regiert wird?“, gab Tschistokjow leicht sarkastisch zurück.
Der oberste Vertreter des Weltverbundes schwieg, grinste, beantwortete die provozierende Frage nicht. Dann erwiderte er: „Ich fühle mich in New York wesentlich wohler…“
„Das kann ich mir vorstellen. Immerhin sind Sie dort ja von Ihresgleichen umgeben“, gab der russische Staatschef lächelnd zurück.
„Kommen wir nun zur Sache, Herr Tschistokjow. Wir sind heute hier, um uns bezüglich einer beidseitigen Abrüstung zu einigen. Jetzt, wo wir sogar, zumindest in beschränkter Form, wieder Handel miteinander treiben, sollten wir auch in diesem Punkt zu einer Übereinkunft kommen“, erklärte der Weltpräsident.
„Dann machen Sie mir einen Vorschlag!“, sagte Tschistokjow.
„Der Weltverbund wünscht, dass Sie die Anzahl Ihrer Atomsprengköpfe auf 500 Stück reduzieren und nicht mehr als 50
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