Beutewelt 06 - Friedensdämmerung
stammelte Alf in schlechtem Russisch.
„Kommen sie einfach mit, Herr Bäumer!“, entgegnete ihm der Arzt; er schritt einen langen Gang herunter und führte die Anwesenden in ein Zimmer.
„Jaaa!“, brüllte Alfred einen Augenblick später und stürmte in den Raum, als würde er sich gerade im schlimmsten Häuserkampf befinden.
Dort lag Svetlana in ihrem Bett, ein kleines, zappelndes Etwas in den Armen haltend. Eine hübsche Krankenschwester lächelte den Besuchern zu und verließ dann den Raum.
„Das ist unsere Tochter!“, hauchte sie Bäumer zu, während das Neugeborene einen spitzen Schrei ausstieß.
„Glückwunsch!“, sagte Frank gelassen und klopfte seinem hünenhaften Freund auf die breite Schulter. Dieser begann augenblicklich vor Freude zu weinen. Er umarmte nacheinander Svetlana, Karina und schließlich auch Frank.
„Meine Kleine!“, sagte Svetlanas Mutter liebevoll und streichelte das Baby, welches noch recht zerknittert aussah.
„Das…Das ist so wundervoll“, heulte Alf und wirkte wie ein großer Bär, der gerade einen romantischen Liebesfilm ansah.
„Du bist ja eine Süße“, sagte Kohlhaas, Alfs Tochter sanft über die Wange streichelnd.
Das Baby stieß noch einen Schrei aus, strampelte wild mit den Füßen. Svetlana drückte es fest an sich und wirkte vollkommen erschöpft.
Endlich sagte auch der Arzt etwas und wandte sich dem stolzen Vater mit einem Lächeln zu: „Sind sie zufrieden, Herr Bäumer?“
„Ja, sicher!“, brachte dieser nur heraus und umarmte nun auch den Arzt, der angestrengt schnaufte, als ihn Alfs muskulöse Arme beinahe vor Freude erdrückten.
Nach der Geburt seiner Tochter war Bäumer tagelang in einem Zustand ungebremster Euphorie. Er kam ständig mit Svetlana zu Besuch. Die beiden hatten sich entschlossen, das Kind doch Sieglinde zu nennen. Inzwischen stand der „Tag der russischen Einheit“ in Tula kurz bevor und Frank war sich noch immer nicht sicher, ob er in diesem Jahr wirklich an der gewaltigen Massenkundgebung teilnehmen sollte. Zu oft hatte er sich in den letzten Wochen über Tschistokjows befremdliche Politik geärgert und sprach mittlerweile davon ihn „boykottieren“ zu wollen. Alf erging es trotz der Freunde über die Geburt seiner Tochter nicht anders. Er war ebenfalls von der ständigen Anbiederei des russischen Staatschefs an den Weltverbund angewidert.
„Eigentlich sollte in diesem Jahr keiner von uns zu Arturs großer Selbstbeweihräucherungsshow gehen“, meinte Kohlhaas. Julia nickte.
„Ich frage mich auch, wofür ihr all die Jahre gekämpft habt, wenn er sich jetzt mit unseren Todfeinden anfreundet“, ergänzte die Tochter des Außenministers.
Alfred schimpfte leise vor sich hin; er bemerkte, dass viele große Männer der Geschichte spätestens dann nicht mehr groß gewesen waren, als ihnen Haufen voller Gold gewinkt hatten.
Im Laufe des Nachmittags ließen sie alle kaum noch ein gutes Haar an Tschistokjow, dem sie noch vor einiger Zeit in blinder Verehrung gefolgt waren. Inzwischen nannten sie ihn einen „Schwätzer“ und „Wendehals“.
Lediglich Svetlana, die sich ansonsten nicht so sehr für Politik interessierte, bemerkte zwischendurch einmal, dass der Anführer der Rus vielleicht auch lediglich „taktisch geschickt“ vorging. Das aber konnten sich Frank und Alfred nicht vorstellen, denn Artur Tschistokjow war ein Mann klarer Worte und wenn er etwas tat, dann immer aus Überzeugung. Selbst wenn es das Falsche war und er sich hatte täuschen lassen.
„Andererseits ist die Veranstaltung in Tula ja schon geil“, sagte Frank und überlegte noch immer, ob sie nun zum „Tag der russischen Einheit“ fahren sollten oder nicht.
„Ja, aber ich kann Arturs große Sprüche im Moment nicht mehr ertragen“, warf Alf in die Runde.
„Was haltet ihr davon, wenn wir uns einfach sein Gequatsche von Wohlstand und Aufstieg anhören, danach ein wenig in der Masse untertauchen und einen Trinken gehen“, schlug Kohlhaas vor.
„Ja, meinetwegen!“, brummte Bäumer. „Obwohl ich auf die ganze Anfahrt nach Tula eigentlich keinen Bock habe.“
„Wir saufen uns bereits einen im Zug, dann geht das schon“, gab Frank als glänzende Idee von sich. Julia verdrehte die Augen.
„Das kannst du vergessen. Ich werde bestimmt nicht mitfahren, wenn du dich schon im Zug vollaufen lässt und dann daneben benimmst. Und welchen Eindruck macht das denn bei den Leuten? Du bist „General Kohlhaas“, ein gefeierter Volksheld. Vergiss das
Weitere Kostenlose Bücher