Bevor Alles Verschwindet
darauf. »Wo ist er denn hin?«, fragt er. »Sollen wir jemanden verständigen, der ihn sucht.«
»Nicht nötig«, sagt Eleni und wartet auf das nächste Warum, aber das kommt nicht, der Verantwortliche ist auf seinem buntgestreiften Campingsessel zusammengesunken, er schläft. »Wir könnten ihn kidnappen und irgendwen erpressen«, sagt Eleni. »Er ist immerhin der Chef des Ganzen.«
»Mein Sohn«, sagt Wacho.
»Das wissen wir doch«, sagt Greta zu Wacho und zu Eleni: »Nein, das können wir nicht. Vergiss das bitte sofort wieder und versprich mir, dass du auf solche Ideen nicht mehr kommst.« Eleni nickt brav, Gretas Bitte hat etwas sehr Grundsätzliches, sie wagt nicht zu widersprechen, obwohl ihr der Gedanke gefällt, den Oberverantwortlichen in den Keller des Rathauses zu sperren und für einen Skandal zu sorgen. In letzter Sekunde könnte es noch einmal richtig unbequem werden. Warum nur kann sie sich nicht entscheiden, fragt sich Eleni. Warum hat sie in einem Moment das Gefühl, alles sei in Ordnung, so wie es ist, der Untergang, der Umzug, die Verlustmöglichkeiten. Und im nächsten Augenblick kommt es ihr dann vor wie die abwegigste aller abwegigen Ideen: das Feld zu räumen und das Wasser kommen zu lassen.
»Ich geh dann auch mal«, sagt Greta ruhig.
»Schlaf gut«, sagt Eleni.
»Ja«, sagt Wacho und: »Gute Nacht.« Greta steht auf, aber sie kann sich nicht trennen.
»Macht es gut.«
»Ach ja«, sagt Wacho, »das wollte ich noch sagen: das Kreuz sieht wunderbar aus. Das wollte ich dir eigentlich vorhin schon sagen.« Wacho lässt den Satz ausplätschern, schaut
zu Boden, scharrt mit dem sanft wippenden Bein in der staubigen Erde, wahrscheinlich wühlt er in den Resten von Monas Haus, unter seinem Schuh Vergissmeinnicht.
»Danke«, sagt Greta, sie bleibt abwartend stehen.
»Alles in Ordnung?«, fragt Eleni. Sie wirft Greta einen warnenden Blick zu, als wüsste sie, was die vorhat, und plötzlich schämt sich Greta. »Greta?«, fragt Eleni, und die blickt auf. »Irgendwas ist doch mit dir, erzähl mir nichts.«
»Es ist der letzte Tag«, sagt Greta traurig. Eleni nickt, sie nimmt Greta in ihre Arme.
»So geht es uns allen«, sagt sie, und Greta nutzt die Gelegenheit, um Eleni ihre Meinung zu sagen. »Ich habe dich gesehen, auf dem Friedhof, du warst fast jeden Tag da. Das ist gut, aber jetzt solltest du Abschied nehmen. Lass das Kind da«, flüstert sie an Elenis Schulter, ihre Strickjacke riecht nach Waschmittel, weich und nach Zuhause, sie benutzen alle dasselbe, das in der Waschküche des Rathauses steht. Greta findet kurzzeitig eine Heimat in Elenis Geruch. Sie spürt, wie Elenis Körper fest wird, wie sich die Muskeln anspannen und Eleni zurückweichen will, damit hat Greta gerechnet, sie hält Eleni fest.
»Nimm David mit, kümmere dich um ihn, aber lass das Kind hier, das hilft dir nichts, so eine Aufregung. Lass es in Frieden, lass es schlafen.«
»Ich weiß nicht«, sagt Eleni brüchig. »Lass mich los«, sagt sie. »Bitte.« Und Greta lässt sie los, schaut noch einmal zu Wacho, der die beiden beobachtet hat und gar nicht versucht, so zu tun, als hätte er nicht.
»So, dann jetzt aber wirklich gute Nacht.« Greta geht in Richtung Rathaus, zur Tarnung, an der Südseite biegt sie ab zum Unterstand, dorthin, wo ihr Fluchtfahrzeug steht.
Er ist hier oben gelandet und weiß nicht mehr wie, Jules klopft, obwohl er eigentlich weg möchte.
»Kann ich reinkommen, David?« David antwortet nicht, dabei weiß Jules, dass er noch da ist. David wird länger hier sein, als es gut sein kann. Jules öffnet die Tür, er hat Angst vor dem, was er dort finden wird.
Das Zimmer liegt im Zwielicht und so ganz unrecht hatte Wacho vorhin nicht. David ist nur noch halb da, höchstens. Jules findet ihn an der Heizung lehnend unter dem Fenster. Er sieht aus wie ein Gespenst, er ist dünn geworden und schattig. Im Zimmer riecht es muffig, aber nicht so schlimm wie befürchtet. Jules lässt sich auf die Matratze fallen, ahmt, ohne es zu merken, Davids Haltung nach, beugt den Rücken, legt das Kinn auf die angezogenen Knie und erinnert sich: Jula und er unter dem Tisch, David, der mit ihnen spielte, bis kurz vor, und sie dann schnell ins Bett gebracht hat, damit ihre Eltern nichts merkten. »Verrat uns nicht«, und David hat es geschworen. Jules erinnert sich daran, dass David ihm nicht egal sein kann.
»Schöne Scheiße«, sagt Jules, etwas anderes fällt ihm nicht ein, nichts Besseres und vielleicht ist
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