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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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spricht.
    »Aber so geht das nicht«, sagt der Wirt. »In letzter Zeit ist er ständig zu spät und heute taucht er anscheinend gar nicht auf. Wenn David sich nicht an die Arbeitszeiten hält, muss ich mir jemand anderen suchen.«
    »Und wen?«, fragt einer der Männer vom Stammtisch. »Da kannst du lange suchen. Hier ist kaum noch wer und bald sind es noch weniger. Wollen wir wetten: Bevor du 'nen Neuen einstellst, machst du eher den Schuppen hier dicht.« Der Wirt will etwas erwidern, lässt es dann aber. Er nimmt sich seinen Krug, setzt sich zu den anderen und nickt Wacho zu:
    »Nichts für ungut.«
     
    Nach Greta, Jula und Jeremias ist im Laden für Neuankömmlinge kein Durchkommen mehr, und sogar Jula hat Probleme, sich in gewohnt lässiger Weise anzulehnen. Die meisten Wände sind von Regalen belegt, und so drapiert sich Jula vor dem schwarzen Brett, dessen Neuigkeiten (Anmeldung für Stände zum großen Jubiläum endet am nächsten Freitag, 15 Uhr), veralteten Gesuche (KiWa, mglst. mit Regenschutz und Winterfußsack) und weise Sprüche (Wer einen guten Nachbarn hat, braucht keinen Zaun) heute keines Blickes gewürdigt werden.
    Gerade stürzt der Zeitschriftenständer um, Robert Schnee fühlt sich verantwortlich und richtet ihn wieder auf, stopft die Zeitschriften und Zeitungen wahllos hinein, Comichefte neben Kochtipps und Pornos ganz nach vorn vor die Modelleisenbahnen. Niemand grüßt niemanden, alle schieben und starren und warten vor sich hin, es ist eine ganz und gar sinnlose Versammlung, die vereinzelte Optimisten hin und wieder in eine Richtung lenken wollen.
    Von den Kartoffeln her ruft jemand: »Wir brauchen einen Plan!«. Die Käsetheke antwortet »Ach was!«. Von den Haushaltswaren erklingt ein »Das hat doch so alles keinen Sinn«. Daraufhin nicken all jene Köpfe, die sich im Gedränge bewegen können, und ein paar verlassen den Laden. Greta weiß nicht, was genau sie erwartet hat, auf keinen Fall so viele Menschen. Wenn sie das geahnt hätte.
    Jula hängt rum, als würde sie einen Tierfilm anschauen, und zerpflückt beiläufig ein Magazin für Motorboote.
    »Jula, bitte«, zischt Jeremias, Jula grinst. Greta sieht zur Decke. Die Vertäfelung stammt aus den Siebzigern, um die ist es nicht schade. Mit dem mitleidlosen Blick hinauf beginnt Greta ihre Inventur der Abschiednahme: Dinge sammeln, um die es nicht schade ist, das könnte eine Lösung sein. Greta lächelt beim Gedanken daran, wie sie zusammen mit der Holzvertäfelung, mit den Jägerzäunen, dem Altkleidercontainer, mit den Thujen und dem Plexiglasanbau der Schnees im See verschwinden könnte. Sie, Greta, als Wächterin des schlechten Geschmacks. Andererseits: Wahrscheinlich werden Vertäfelung, Plexiglas und Container noch vor der Flutung entsorgt, das heißt woandershin gebracht. Greta hebt die Hand.
    »Du musst dich nicht melden, Greta«, sagt Jula. »Hier quatscht doch jeder einfach so vor sich hin.«
    »Das habe ich bemerkt«, sagt Greta. »Aber hast du das Gefühl, dass wir damit weiterkommen?« Jula schüttelt den Kopf. »Eben«, sagt Greta und schnippst mit den Fingern. Die Umstehenden werden ungeduldig.
    »Was denn, Greta?«, brüllt ein ehemaliger Nachbar, der sein Hörgerät für eine Wanze hält und sich darum weigert, es einzusetzen.
    »Ich denke, wir sollten uns nachher im Tore treffen und bis dahin erst einmal alle ein wenig nachdenken.« Greta blickt in leere Augen, kein Wunder, im Raum ist praktisch kein Sauerstoff mehr vorhanden, in ein paar Minuten werden die ersten
kollabieren. Andere, nicht Greta, Greta ist fit: »Was meint ihr?« Niemand nickt, einige murmeln leise vor sich hin.
    »Vielleicht sollten wir geschlossen irgendwo vorsprechen«, sagt irgendwer irgendwo weit hinten im Laden, etwa auf Höhe der Backzutaten.
    »Ja«, ruft jemand anderes. »Eigentlich sollte Wacho was tun, eigentlich ist der zuständig, soll der doch mit denen reden.« Es folgt ein Moment der Stille, dann Gelächter.
    »Als ob der irgendwas zustande bekommen würde. Der hockt bestimmt schon längst wieder im Tore und säuft sich die ganze Misere aus dem Hirn«, ruft eines der Einmachgläser. So deutlich wird man hier selten.
    »Was ja wohl klar ist, ist, dass wir uns das nicht so einfach gefallen lassen können, das können die nicht einfach so beschließen über unsere Köpfe hinweg.« Quer durch den Laden rufen sie jetzt, und alles, was sie rufen, geht unter im allgemeinen Aufruhr. Warum sich jeder Protest sofort so abgestanden anfühlt,

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