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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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und ins Museum, aber hier gibt es keins. Immer wieder kreuzt David das Bild dieses schläfrigen Sonntags. Stets unterwegs zwischen Milo und Tore und randvoll mit Glück. Wacho versteht die Eile falsch, beobachtet nachdenklich, was er für Davids Suche hält, das kennt er. Da kippen manche dumpf riechende Schuhkartons aus und wühlen in Erinnerungen. Sie lesen vergangene Postkarten und weichgeträumte Liebesbriefe, alte Nachrichten am Boden des Eingangskorbs,
sie treffen sich daheim auf einen Kaffee, nur kurz, bevor sich um spätestens siebzehn Uhr alles im Dämmerzustand befindet. Benommen hangeln sie sich durchs Fernsehprogramm, das am frühen Abend Geschichte, um zwanzig Uhr fünfzehn einen schon aufgeklärten Mord herauspresst, ein bis zwei triefäugige Kommissare, und am Ende sind sie schlauer und gehen schlafen, und schade, morgen wird sie schon wieder vorbei sein, diese erholsame, viel zu kurze gemütliche Schonzeit, am Ende und Anfang einer Woche.
     
    Grundsätzlich ist es nicht so schlimm für Greta, dass die Verantwortlichen den Ort auf dem Grund eines Stausees versenken wollen. Trotzdem nimmt sie an den Protesten teil, die am Montag nach der Versammlung beginnen. Am Montag erst, weil am Samstag bei den einen der Schockzustand herrschte, die anderen sich wenigstens über das Wochenende hin Ewigkeit einredeten und weil am Sonntag Ruhetag ist, weil sie sich seltsam vorgekommen wären, mit ihren Protesten am Sonntag zu beginnen, wenn nicht einmal der Bus im Ort hält.
    Am Montagmorgen jedenfalls steigt Greta in die schwarzen Schnürstiefel, zieht sich ihren jagdgrünen Wintermantel über, knotet sich das blau-gold gemusterte Halstuch um und setzt die weiße Mütze auf. Ernst hat sie immer seine goldene Kubistin genannt, wenn sie diese Mütze trug. Greta verlässt den Friedhof in Richtung Lebensmittelladen.
     
    Mona kann ihn nicht vergessen, den Mann, den Einen womöglich, da hilft es auch nicht, dass sie fest an ihre Mutter denkt, an deren Wut und Enttäuschung und deren Angst, eines Tages würde Mona ein eigenes Leben führen. Es hilft nichts, sich zu sagen, dass er einer der Verantwortlichen ist, ein Prophet der großen Flutung. Mona stößt sich mit Absicht den Fuß am Klavier und kann den Mann dennoch nicht vergessen. Der Spinatmann ist bei ihr eingezogen, langsam
wird's eng, und Mona verlässt auf Anweisung ihrer Mutter hastig das Haus.
     
    »Kommst du mit?«, fragt Jeremias.
    »Nein«, sagt Eleni, mit hochrotem Kopf balanciert sie ein Blech Butterhörnchen.
    »Ich mache hier weiter, geht ihr mal allein.«
    »Wo ist dein Bruder?«, fragt Jeremias und sieht Jula vorwurfsvoll an.
    »Auf dem Mond«, sagt sie, »Briefe abholen.«
    »Jula!«, sagt Eleni und: »Das reicht.« Jula will etwas entgegnen, aber Jeremias schüttelt den Kopf.
    »Nimm dir ein Hörnchen, das bessert die Laune.«
    »Ich hasse Marzipan.«
    »Dann eben nicht.« Jeremias geht zur Tür, Jula folgt. Eleni wartet, und fast hätte Jeremias etwas vergessen. Er geht zurück, gibt ihr einen Kuss. »Das wäre ja noch schöner«, sagt er.
     
    »Ich muss ins Tore«, sagt David und versucht, dabei möglichst ruhig zu wirken. Es gelingt ihm nicht, Wacho merkt ihm an, dass er Bescheid weiß, darüber dass es mit Wacho durchgeht. Er lässt David nicht wieder aus dem Haus. Am Sonntagmorgen ist David erst kurz nach drei die Treppe hochgeschlichen, so lange hat das Tore nicht auf, und die Dielen knarren, das weiß David eigentlich, und Wacho hat einen leichten Schlaf. Den Tag über hat Wacho vom Fenster aus beobachtet, wie David auf wirren Wegen quer durch den Ort gelaufen ist. Am Abend hat Wacho ihn sich geschnappt. Er hat David die Treppe hoch in sein Zimmer geschoben und die Tür von außen abgeschlossen, den Schlüssel bewahrt er schon seit Jahren unter seinem Bett bei den anderen Dingen auf, jetzt weiß er, warum. So kann er David in Sicherheit bringen, ihn vor dem Wissen schützen, das sie alle ängstlich
macht, ihn für sich behalten und parat haben, für die Zeit, wenn Anna kommt.
    »Es tut mir leid, David«, hat Wacho durch die Tür geflüstert.
    »Dann lass mich raus«, hat David gebrüllt, und Wacho ist traurig weggegangen, die ganze Nacht hat er wach gelegen und Davids Schlägen gegen die Tür gelauscht.
    »Wer ist dieser Kerl, dieser Milo?«, brüllt Wacho jetzt, im Morgenmantel noch, durch das Holz der Tür. »Ich kenne den doch! Wo hast du den her, und was suchst du auf dem Friedhof?«
    »Mach auf«, ruft David zurück, er ist

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