Bevor Alles Verschwindet
weiß noch nicht genau, wie ich das mache.«
»Wie du was machst?«
»Das Ganze hier verhindern. Erst dachte ich, ich jag' einfach alles in die Luft«, sagt Jula mit dem Ton eines alten Sprengmeisters. Jules muss lachen.
»Na klar.« Jula fährt fort, ohne auf sein Lachen einzugehen, sie scheint nicht einmal beleidigt zu sein.
»Aber so viel Sprengstoff kann ich nie unbemerkt produzieren, so viel Geld habe ich gar nicht«, sagt sie.
»Woher weißt du, wie viel so was kostet?«
»Steht im Netz.«
»Jula, ich weiß nicht, wie Mama und Papa es finden, wenn plötzlich der Geheimdienst bei uns vor der Tür steht.«
»Wahrscheinlich nicht so toll.«
»Nee, wahrscheinlich nicht.«
»Sprengen geht nicht, sag ich ja.«
»Sprengen geht nicht und sonst geht auch nichts. Du wirst
im Knast landen. Das ist das Einzige, was passiert, wenn du hier was unternimmst.«
»Und wenn schon«, ruft Jula und Jules packt sie an den Armen und will sie am liebsten schütteln, aber so weit geht er nicht.
»Jula«, sagt er schwach.
»Ja? Wir brauchen eine Schlagzeile. Eine Schlagzeile ist das Wichtigste und dann geht's los. Wetten?« Sie sieht ihn direkt an, so, wie sie es seit Wochen nicht mehr getan hat. Sie ist ihm wieder nah und er will's nicht vermasseln, aber er kann nicht anders, er muss jetzt der Vernünftige sein, ganz einfach deshalb, weil sie spinnt. Er hält sie fest, drückt seine Finger fest in ihre Arme, er will sie nie wieder loslassen.
»Lass uns einfach nach Hause gehen, einen Tee trinken mit Papa, und wenn Mama schon da ist, auch mit ihr, und dann überlegen wir uns, wo wir hinziehen. Danach.« Jules zwingt sich, seinen Klammergriff zu lösen und die Nähe zu Jula aufzugeben, vage deutet er in die Höhe, bis hinauf zu dem dürren Streifen Mond zeigt er.
»Ich geh hier nicht weg«, sagt Jula.
»So toll ist es hier doch gar nicht«, sagt Jules, und dann wird ihm kalt. Jula widerspricht ihm nicht, sie behauptet nicht, dass dies hier der beste Platz der Welt sei, sie hat keine Vergleichsmöglichkeiten. Aber sie geht weg, einfach so lässt sie ihn stehen, marschiert die Grube entlang, über das Fundament einer zukünftigen Mauer. Jules läuft ihr nach wie ein treuer Hund, er würde kriechen, wenn ihm das mehr einbrächte als einen abfälligen Blick.
»Es tut mir leid!«, ruft er. »Aber das ist doch Wahnsinn.« Abrupt bleibt sie stehen, dreht sich ruckartig um.
»Hilfst du mir oder nicht?« Er schluckt einmal und dann sagt er:
»Klar.«
Das Stechen in seinem Hals ist stark genug, er hätte mehr
mals schlucken können, vielleicht sollen, hat er aber nicht, und auch rückblickend wird er dieses Klar nie bereuen, stattdessen wird er sich erinnern, wie es sie über die letzten Monate noch einmal zusammengebracht hat, so nah wie immer, wie es sein sollte. Falsch ist an dem Klar also nichts. Und dennoch ist es dieses schnelle Klar ihres Zwillingsbruders, das Jula ein paar Monate später fast um den Verstand bringen wird. Aber jetzt ist erst einmal alles wieder gut und Jula sagt »Komm« und streckt ihre Hand nach ihm aus, und dann wandern sie gemeinsam durch den Schlund wie die einsamen Geschwister durch den nächtlichen Märchenwald, und die neuen Hexen sind keine alten Frauen, die Zuckerzeug verteilen, die neuen Hexen sind Baupläne und verrückte Ideen noch nicht ganz erwachsener Zwillinge, und ein altersschwacher Backofen ist für diese neuen Hexen keine Lösung, sondern nichts als ein schlechter Witz.
»Schwörst du, mir zu helfen?«, fragt Jula.
»Ja«, sagt er.
»Dass du nichts verrätst?«
»Ja.«
»Niemandem?«
»Ja. Also nein. Du weißt schon, mach ich nicht.«
»Nicht mal Mama und Papa?«
»Dumme Kuh!«
»Also: Schwörst du's?«
»Ja.«
»Gut. Komm, wir gehen nach Hause. Wenn ich den Plan habe, sage ich dir Bescheid.«
»Okay.« Sie gibt ihm einen Kuss auf die Stirn, er küsst sie auf die Wange. Die Welt dreht sich weiter, alles bewegt sich erneut in der Choreographie der Salamander-Zwillinge, alles ist, wie es sein soll.
David muss eingeschlafen sein, er liegt im kleinen Verschlag zwischen kratzigen Decken, die allesamt nach Milo riechen und nach Pfeifenrauch. Jetzt ist jemand da und David traut sich nicht, die Augen zu öffnen, da sitzt einer neben ihm auf der Matratze. David konzentriert sich, presst Wünsche zu einer Realität, wenn da gleich eine Hand ist an seiner, dann hat er es tatsächlich geschafft, dann hat sich der Weg hierher gelohnt. Und da ist eine Hand an seiner, und David
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