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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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und Milo hört ihn nicht, er ist vertieft, seit einigen Wochen schon, als würde er das Haus mit David verwechseln. David ist eifersüchtig auf ein klappriges Haus, dem die gebleckten Zähne ausfallen. Dass es so etwas gibt, so eine dumme Eifersucht, hat er wie so vieles erst von Milo gelernt.
    David steht jetzt neben Milo, er sagt noch einmal seinen
Namen und setzt sich zu ihm auf die Stufe. Das Holz ist weich und hell, Milo befindet sich im Feinschliff. David schiebt seine Hand übers Holz bis zu Milos Jeans, dann über seinen Rücken bis zur Schulter, er legt ihm die Hand von hinten um den Hals, er fühlt jeden Wirbel, und jetzt bemerkt Milo ihn endlich. Er fährt herum und starrt David wild an, und der schreckt zurück und donnert mit dem Rücken gegen das Geländer. Licht fällt in Strahlen von oben herab. Gebrochen durch nichts mehr, auch das mittlerweile Gewohnheit. Im Licht tanzt feinster Holzstaub, leuchtet Milo übernatürlich, und David muss schlucken, wegen der trockenen Luft, wegen der beißenden Strahlen, diesem Blick. Dass sich das so vertraut anfühlt, hätte er nicht gedacht.
    »Hier«, sagt David und streckt Milo die alte Plastikflasche entgegen. Milo nimmt einen Schluck gegen den Staub in seiner Kehle und kippt sich den Rest über den Kopf. Milo spielt Sommer. Dann lacht er endlich, und das kann er gut. Er kann so sehr lachen, dass es im ganzen Körper sticht.
    »Hey«, sagt David und streicht mit dem Daumen den Hals hinauf, wandert über sämtliche Kratzer, über ein kurzes Schlucken, ein kantiges Kinn, hinauf bis zu Milos Lachen. Da lässt er seinen Daumen liegen. »Du«, sagt David, aber es ist nicht zu hören. Jetzt, denkt David. Jetzt.
    »Guten Tag«, sagt eine feste Stimme, und David macht die Augen wieder auf, verdammt. Vor dem Tor stehen zwei Fremde, offenbar gehören sie zu den Verantwortlichen.
    »Wir müssen mit Ihnen sprechen«, sagt die Frau im blauen Kostüm.
    »Wir wollen nicht stören«, sagt der Mann.
    »Aber dennoch«, sagt die Frau, und sie klingt fröhlich dabei. »Dennoch ist es notwendig, dass wir uns einmal zusammensetzen und über die Zukunft sprechen.« Und während sie das sagt, sind die beiden schon auf dem Weg, sie stoßen das Tor auf, die letzte Angel bricht, krachend fällt es zu Boden. Die beiden Fremden übertreten die Grenze.
    »Was gibt es?«, fragt David und klopft sich die staubigen Hände ab. »Wie können wir Ihnen helfen?«
    »Es geht um das Haus«, sagt die Frau, lächelnd kommt sie näher. Der Mann folgt ihr. Da schreitet die grinsende Weltuntergangsnachricht auf sie zu, und David bereut es, nicht schneller durch den verschwundenen Wald gelaufen zu sein. Immer geht es um alles, langsam beginnt das, an den Nerven zu zehren.
    Dass sie besser reingehen sollten, sagen die Verantwortlichen und dann schieben sie sich schon an ihnen vorbei.
    »Gehen wir mit?«, fragt David, und Milo schüttelt zuerst den Kopf und dann nickt er und dann gehen sie ins Haus.
    Zwei Bretter auf zwei Stapeln Backsteinen, das ist ihr erster gemeinsamer Einrichtungsgegenstand, ihr Tisch, das haben die Fremden richtig verstanden, und schon sitzen sie auf den umgekippten Eimern (Sauerkraut, 30 Liter), und auch das ist vollkommen richtig in diesen provisorischen Tagen.
    »Setzen Sie sich doch«, sagt die Frau und deutet vage in den Raum. Es gibt nur zwei Stühle, da sind nur zwei Eimer, bisher haben sie keine weiteren gebraucht.
    »Ich stehe lieber«, sagt David, und Milo steht einfach so. Er wohnt hier, was soll er sich erklären. »Worum geht es?«, fragt David, die Hände vergraben in den Jackentaschen.
    »Es ist ja nun so«, sagt der Mann und schiebt mit der Handkante den Staub von den Brettern, »dass hier einiges abgerissen werden muss.«
    »Muss es das denn wirklich?«, fragt David, er kann es sich nicht verkneifen, es ist die dümmste Frage seit Beginn der Neuzeit. Die beiden Verantwortlichen gehen nicht darauf ein.
    »Jedenfalls werden in den nächsten Tagen die ersten Häuser abgerissen.«
    »Warum erzählen Sie uns das?«, fragt Milo, und natürlich verstehen die beiden ihn nicht, Milo ist immer viel zu leise, nur David kann ihn verstehen.
    »Warum sagen Sie uns das?«, fragt David, denn diese Frage ist gut.
    »Es ist ja nun so«, sagt der Mann, und die Kollegin seufzt, aber er stört sich nicht daran, er fährt fort: »Dass hier alles verschwinden wird.«
    »Genau«, sagt die Frau. Sie hat anscheinend vergessen, dass sie auf einem Eimer sitzt, und da kippt sie auch fast schon um,

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