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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Scheffel
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rum, als ob er selbst zum steinernen Löwen werden will, dabei haben sie ihm gestern fast den Kopf eingeschlagen, die haben den Löwen zerstört, die blöde Kuh mit der Kamera und der Arsch von der Baufirma. Plötzlich nervt Jules, was ihm vorher völlig egal war. Er stürzt zum Rathaus hinüber.
    »Was soll das? Was machst du da eigentlich?« Milo bleibt stumm, schaut durch ihn hindurch. Jules könnte kotzen. »Guck nicht so bescheuert! Was soll das? Sag mal was! Du kannst doch sprechen, das weiß ich, also sprich!« Jules packt Milo und freut sich, so stark zu sein mit einem Mal. Aber wann hat er seine Kraft überhaupt schon richtig getestet? Noch nie. Bisher gab es nur die albernen Kämpfe mit Jula. »Noch nie!«, brüllt Jules Milo ins Gesicht. Wie kann man sich nur so anpacken und anbrüllen lassen? Der ist doch nicht normal. Der ist überhaupt nichts. Jules heult: »Ich bring dich um, ich hasse dich!« Milo sagt nichts, Milo guckt nur. Er wirkt nicht ängstlich und nicht traurig. »Wo kommst du her?«, brüllt Jules. »Warum sitzt du hier? Was willst du eigentlich? Wie kannst du dir alles gefallen lassen? Das mit dem Gelbhelm gestern, das mit der Hacke? Die finden in dir ein willkommenes Opfer.
Jetzt mach doch mal was, du Arsch!« Jules sieht zum Fenster des Rathauses hinauf. Dort oben steht David, still, stumm, reglos, auch er plötzlich so ein Neutraler. »Du doch auch!«, brüllt Jules. »Du bist auch nicht besser.«
    »Jules«, sagt Jeremias, »ganz ruhig.« Er muss schon länger hier stehen, seinem Sohn beim Brüllen und Drohen zusehen und dabei, wie er Milo anbrüllt und jederzeit bereit ist, ihm eins in die Fresse zu geben.
    »Was willst du?«
    »Lass«, sagt Jeremias ruhig. »Lass ihn in Ruhe.« Jules sackt in sich zusammen, er lässt sich von seinem Vater über den Platz abführen, spürt, dass Jula oben am Fenster steht und auf ihn herabsieht mit dem gleichen Blick, den sie für das Modell übrig hat. Jules tut ihr nicht den Gefallen, ihren Blick zu erwidern. Er geht mit Jeremias zum Auto, dem Kombi, ihrem Zweitwagen, dem der braune Lack abblättert, seit zwei, drei, seit achtzehn Jahren.
    »Wollen wir?«, fragt Jeremias. Jules nickt. »Dann komm. Es geht los.« Jeremias hält seinem Sohn die Beifahrertür auf, deutet auf den Gurt: »Anschnallen.« Dann geht er um den Wagen herum, Jules behält er im Blick. Er setzt sich neben ihn, schnallt sich an.
    »Musik?«
    »Meinetwegen.« Im Radio läuft etwas aus den Achtzigern.
    »Kennst du das?«, fragt Jeremias.
    »Ja.« Jeremias wippt im Takt.
    »Es wird schon, sei nicht so zornig.« Langsam rollen sie über den Hauptplatz, vorsichtig umfährt Jeremias die Wurzeln der alten Linde. »Ich wette, die bekommen sie nicht raus. Wink mal, da steht deine Mutter.« Jeremias und Jules winken Eleni zu.
    »Bis bald«, formt Eleni mit dem Mund.
    »Bis bald«, sagt Jeremias, und Jules entdeckt neben dem Stamm der Linde eine Frau, die trägt einen Wollpulli, einen
Schal und eine Mütze, die hat einen Block in der Hand und einen Bleistift, die starrt angestrengt auf die Reste des Baumes. »Das wird diese Künstlerin sein«, sagt Jeremias. »Die hat vor Ewigkeiten mal hier gewohnt und macht jetzt ein Kunstwerk aus dem Stamm, zur Erinnerung.«
    Vor der Künstlerin steht jetzt Marie, sie redet auf sie ein, die Künstlerin lächelt, Marie zeigt auf den Stamm, schüttelt den Kopf, Marie stampft mit dem Fuß auf, und jetzt kommt Robert gelaufen, in Toga. Er schnappt sich seine Tochter, die tritt und schreit. Robert sagt etwas, grinst, die Künstlerin grinst, Bildhauerin und Imperator nicken einander zu, Robert trägt Marie weg, die Künstlerin widmet sich weiter ihrer Skizze.
    »Gut, dass wir hier raus sind«, sagt Jeremias, und Jules nickt automatisch.
    Auf der Treppe hockt Milo, immer noch. Er hebt die Hand.
    »Es tut mir leid«, sagt Jules in Milos Richtung. »Das mit dem Opfer und so. Es stimmt, aber ich bin auch nicht anders.«
    »Ist schon gut«, sagt Jeremias, dem das nicht zusteht, um den es hier gar nicht geht, und: »Mir geht es ähnlich.«
    Nach einer Weile biegen sie ab, rechts neben ihnen liegt jetzt die Baustelle. Die Mauer sieht aus, als wäre sie fertig, aber es heißt, es fehlen noch ein paar Meter.
    »Vielleicht sieht man sie aus dem All«, sagt Jeremias.
    »Wer sollte das sehen wollen?«, fragt Jules. Jeremias wechselt den Sender.
    »Kennst du das?«
    »Nö. Halt mal an«, sagt Jules.
    »Was ist denn jetzt?«
    »Halt mal bitte.« Jeremias bremst unwillig. Es

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