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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Schlimmeres, nichts Herzzerreißenderes als zu hören, dass das eigene Kind unglücklich war. »Sie sollten einen Arzt konsultieren«, erklärte sie Faith sanft. »Ich rede mit meinen Freundinnen und frage sie nach einem Psychologen.«
    »Sie halten mich für verrückt?«
    »Nein. Ich denke nur, dass Sie mehr Hilfe brauchen, als ich Ihnen geben kann.«
    Faith schüttelte den Kopf. »Sie denken, ich bin verrückt«, sagte sie.
     
    Kurz nach vier Uhr spazierte Ryan zur Tür herein, in den Armen einen Strauß dunkelorangefarbene Rosen. »Für Sie«, erklärte er Cindy und drückte ihn ihr in die Hand. »Verbunden mit meiner aufrichtigen Entschuldigung dafür, dass es so spät geworden ist.«
    »Ihr Termin hat länger gedauert, als Sie dachten«, sagte sie, und es war eher eine Feststellung als eine Frage. Damit kannte sie sich schließlich aus, weil Tom sie schon vor langer Zeit mit diesem Terrain vertraut gemacht hatte.

    »Es tut mir ehrlich Leid. Als ich Sie angerufen habe, dachte ich wirklich, wir hätten alles unter Dach und Fach.«
    Cindy bemühte sich, ein mitfühlendes Lächeln aufzusetzen.
    »Schließlich konnten wir aber alles klären«, sagte er wie zu ihrer Beruhigung.
    »Haben Sie den Auftrag bekommen?«
    »Pünktlich zum Beginn der Rushhour. Es war brutal.«
    »Dann sind Sie bestimmt erschöpft.«
    »Mehr als nur ein bisschen ausgelaugt, um ehrlich zu sein. Ich könnte einen Drink gebrauchen. Was ist mit Ihnen?«
    Cindy hatte schon vorher geglaubt, eine leichte Alkoholfahne zu riechen. »Ich sollte wirklich nach Hause gehen und diese Blumen ins Wasser stellen.«
    »Ein kleines Schlückchen, zur Feier meines Erfolges.« Ryan verschwand im Esszimmer und kehrte kurz darauf mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurück. »Mögen Sie Roten?«
    »Ja, gerne.«
    Er entkorkte die Flasche, während Cindy die Blumen auf den Couchtisch legte. »Auf Sie«, sagte er und stieß mit ihr an. »In ewiger Dankbarkeit.«
    »Auf Julias sichere Rückkehr.« Cindy führte ihr Glas zum Mund, trank einen großen Schluck und schmeckte das feine Brombeeraroma auf der Zunge.
    Ryan verzog das Gesicht. »Wie halten Sie durch?«
    »Mit Mühe.«
    »Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun.«
    »Ich auch.«
    »Ehrlich, Cindy, ich habe der Polizei alles gesagt, was ich wusste.« Ryan nippte erneut an seinem Wein und blickte zur Decke. »Es ist so still.«
    »Alle schlafen.«
    »Erstaunlich. Offenbar haben Sie magische Fähigkeiten.«
    »Ihre Frau denkt, Sie hätten eine Affäre«, stellte Cindy nüchtern fest.

    »Was?«
    »Ihre Frau …«
    »Meine Frau leidet in letzter Zeit unter einer übersteigerten Fantasie«, sagte Ryan gereizt, bevor Cindy sich wiederholen konnte.
    »Was das angeht, haben Frauen trotzdem meistens Recht.« Cindy beobachtete, wie ebenso schnell alles Blut aus seinem Kopf wich, wie er sein Weinglas leerte.
    »Meine Frau ist depressiv …«
    »Das heißt nicht, dass sie an Wahnvorstellungen leidet.«
    »Sie wissen genauso gut wie ich, wie seltsam Sie sich in letzter Zeit benommen hat.«
    Da musste Cindy ihm Recht geben. »Was sagt denn ihr Arzt dazu?«
    Ryan schüttelte den Kopf. »Ich wollte ihn anrufen. Aber ich war in letzter Zeit einfach so verdammt beschäftigt.«
    »Ihre Frau braucht Hilfe, Ryan.«
    »Einverstanden«, sagte Ryan forsch und leerte sein zweites Glas, während er aussah, als ob es ihm bereits Leid tat, dass er sie überhaupt auf einen Drink eingeladen hatte. »Ich rufe ihn gleich morgen früh an.«
    Wie auf Stichwort fing das Telefon an zu klingeln.
    Cindy trug ihr Glas in die Küche, stellte es ins Waschbecken und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis irgendwer es abwaschen würde. »Ich muss los«, sagte sie und winkte Ryan zum Abschied zu, während der das Telefon abnahm.
    »Vergessen Sie Ihre Blumen nicht«, flüsterte er, die Hand auf der Sprechmuschel.
    »Ach ja, richtig.« Cindy ging zurück ins Wohnzimmer, nahm die zwei Dutzend Rosen vom Couchtisch und stach sich den Finger an einem der Dornen. Sie lutschte das Blut ab und fand, dass es süßer schmeckte als Wein.
    »Einen Moment«, hörte sie Ryan sagen, bevor er auf sie zukam und ihr das tragbare Telefon entgegenhielt. »Es ist für Sie.«
    »Für mich?« Cindy erinnerte sich, dass sie die Nummer der Sellicks bei der Polizei hinterlassen hatte, falls man sie dringend erreichen musste. War etwas passiert? Hatte sich ihre Vorahnung als richtig erwiesen? Hatte man Julia gefunden? Cindy hielt den Hörer ans Ohr, während Ryan

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