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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Blick, in dem jetzt auch noch etwas anderes lag, wie Cindy erkannte. Ein unverkennbares Funkeln der Erregung. Ryan Sellick hatte seinen Spaß.
    »Erklären Sie mir, was zum Teufel hier eigentlich los ist«, sagte er.
    Statt zu antworten spuckte Cindy Ryan direkt ins Gesicht, eine Geste, die leider eher symbolisch als wirklich erfolgreich ausfiel, weil nur ein paar Tropfen ihr anvisiertes Ziel erreichten, während das meiste an Cindys Lippen kleben blieb.
    »Sind Sie verrückt?«, herrschte Ryan sie an. »Haben Sie komplett den Verstand verloren?«

    »Lassen Sie mich los.«
    Ryan packte ihre Handgelenke noch fester. »Erst wenn Sie versprechen, sich zu beruhigen.«
    »Sie machen alles nur noch schlimmer.«
    »Wovon reden Sie?«
    »Die Polizei wird jeden Moment hier sein.«
    Ryan ließ ihre Arme los und ließ sich auf die Seite sinken. »Die Polizei?«
    »Sie wissen alles über Ihre Affäre mit Julia«, improvisierte Cindy.
    Ryan löste sich ganz von ihr und ließ sich gegen das gedrungene Bein des Klaviers sinken, während er aschfahl wurde, wobei einzelne rote Flecken auf seinen Wangen zurückblieben wie planlos aufgetragenes Make-up. »Das ist lächerlich«, sagte er, doch seinen Worten fehlte jede tragende moralische Empörung, sodass sie beim ersten Kontakt mit der Luft zerplatzten wie Seifenblasen.
    Cindy rutschte auf dem Hintern über den Boden, bis sie das sichere Sofa in ihrem Rücken spürte. Sie war zu erschöpft, um aufzustehen und einen weiteren Angriff zu starten. »Sagen Sie mir einfach, wo Julia ist«, flehte sie leise, obwohl sie in Wahrheit hatte sagen wollen: Sagen Sie mir einfach, dass Julia lebt.
    »Ich weiß nicht, wo sie ist.«
    »Da ist die Polizei anderer Meinung.«
    »Dann irrt sich die Polizei.«
    »Wahrscheinlich genauso wie im Fall der belästigenden Anrufe, die ich bekommen habe.«
    »Was für belästigende Anrufe?«
    »Die, bei denen mir irgendwer erklärt, meine Tochter wäre ein Flittchen, das bekommen hätte, was es verdient.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Die Anrufe kamen aus Ihrem Haus.«
    »Was!«
    »Irrt sich die Polizei in diesem Fall auch?«

    Ein Schatten fiel auf Ryans Gesicht. Wie im Kino, dachte Cindy, wenn die Leinwand langsam dunkel wird. In seinem Blick spiegelte sich gleichzeitig Unglauben, Eingeständnis und Entsetzen, während er kopfschüttelnd murmelte: »Nein, das ist unmöglich. Das kann nicht sein.«
    »Was kann nicht sein?«, fragte Cindy, kurzfristig abgelenkt von den Schritten auf der Treppe. Sie drehte sich um und sah Faith in der Tür stehen. Sie hatte noch immer den rot karierten Schlafanzug an, den sie schon den ganzen Tag trug, und verströmte den Geruch angesäuerter Milch wie ein zu strenges Parfüm.
    »Was ist hier los?«, fragte sie, und ihr Blick zuckte zwischen Cindy und ihrem Mann hin und her.
    Cindy blieb auf dem Boden sitzen, während Ryan sich mühsam erhob und auf seine Frau zuhumpelte.
    »Was ist mit deinem Gesicht passiert?« Faith berührte die Wange ihres Mannes. »Was ist hier los?«, wiederholte sie ausdruckslos und wie von ferne, als ob sie im Schlaf sprechen würde.
    »Faith«, setzte Ryan an, hielt inne und strich ihr mit der Hand besorgt eine Strähne aus dem Gesicht.
    »Die Polizei ist schon unterwegs«, informierte Cindy sie.
    »Die Polizei? Warum?«
    »Sie denken, wir wissen irgendwas über Julia«, erklärte ihr Mann.
    »Aber du hast doch schon mit ihnen geredet.«
    »Offenbar sind aus diesem Haus einige Anrufe gemacht worden …«
    »Wovon redest du?«
    »Die Polizei hat mein Telefon angezapft«, sagte Cindy kalt. Ihr Mitgefühl war endgültig verbraucht. »Offenbar ist es in Fällen wie diesem nicht ungewöhnlich, dass die Familie des Opfers Anrufe von irgendwelchen Spinnern erhält«, fuhr sie fort und wappnete sich gegen Faiths wütendes Leugnen.

    Doch stattdessen hörte sie: »Sie glauben, Julia wäre hier das Opfer?«
    »Was?«, fragte Cindy und stand hastig auf.
    »Was?«, wiederholte Ryan wie ein Echo und ließ die Arme sinken.
    »Glauben Sie mir«, fuhr Faith fort und zerrte an dem Saum ihrer Schlafanzugjacke, um den Stoff von ihrer leckenden Brust wegzuziehen. »Julia ist kein süßes, unschuldiges kleines Opfer.«
    »Faith«, unterbrach Ryan sie besorgt. »Ich glaube, du solltest lieber nichts mehr sagen.«
    »Ja, das würde dir gefallen, was? Du hättest mich gern als braves kleines Mädchen, als stumme, kleine Maus, das perfekte kleine Frauchen, das zu Hause bleibt, kocht, sauber macht und sich um deine teuflische

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