Bevor der Abend kommt
genützt, wenn er von meiner Beziehung zu Julia gewusst hätte? Würde das helfen, sie zu finden?«
»Ich weiß es nicht. Würde es das?«
»Ehrlich, Cindy. Wenn ich auch nur eine Minute lang geglaubt hätte, dass es helfen könnte, Julia zu finden, wenn ich der Polizei von meiner Affäre mit ihr erzähle, hätte ich es getan. Ich habe bloß versucht, sie zu schützen.«
»Sie zu schützen? Der einzige Mensch, den Sie versucht haben, in diesem Chaos zu schützen, sind Sie selber.«
»Ich weiß nicht, wo Julia ist«, sagte Ryan noch einmal. »Ja, ich habe bezüglich meiner Beziehung zu ihr gelogen, und ja, ich bin ein nichtsnutziges Stück Scheiße, das seine Frau betrügt. Aber haben Sie eine Ahnung, wie es ist, mit jemandem verheiratet zu sein, der permanent depressiv ist und sich aufführt, als wäre sie die einzige Frau, die je ein Kind geboren hat, die ihren einzigen Sohn ansieht wie eine ansteckende Krankheit? Also ja, ich neige dazu, erfreut zu reagieren, wenn mich eine schöne Frau nicht verächtlich, sondern bewundernd anguckt. Aber das heißt nur, dass ich ein Mensch bin. Es heißt nicht, dass ich etwas mit Julias Verschwinden zu tun habe. Bitte, Cindy, Sie müssen mir glauben. Ich würde Julia nie etwas antun.«
»Lieben Sie meine Tochter?«, fragte Cindy und hörte, wie ein Polizeiwagen vorfuhr und Türen zugeschlagen wurden.
Ryan wandte den Blick ab und sagte nichts.
Ausnahmsweise musste er mal nicht lügen, dachte Cindy. »Sie sind wirklich ein Arschloch«, erklärte sie ihm, lauschte den schweren Schritten vor dem Haus und dem ungeduldigen Klopfen an der Tür.
Es war fast neun Uhr, als die Polizei Cindy anrief, um ihr mitzuteilen, dass die Befragung der Sellicks zunächst in ihrem Haus und später auf der Wache abgeschlossen sei und man letztendlich beschlossen hatte, sie gehen zu lassen.
»Was soll das heißen, Sie haben sie gehen lassen?«
»Wir hatten keinen Grund, sie weiter festzuhalten«, erklärte Detective Gill.
»Was soll das heißen, Sie haben keinen Grund?« Wie oft musste sie ihre Sätze in diesen Tagen mit dieser Frage beginnen: Was soll das heißen? »Ryan Sellick hat zugegeben, uns seine Affäre mit Julia verschwiegen zu haben. Seine Frau hat die Anrufe bei mir gestanden.«
»Ja, und wir haben sie mehr als vier Stunden lang vernommen. Das ist alles , was sie zugegeben haben.«
»Vier Stunden? Meine Tochter wird seit zwei Wochen vermisst!«
»Mrs. Carver«, unterbrach Detective Gill sie sanft. »Natürlich werden wir weiter jedem Aspekt nachgehen, aber wir haben Ryan Sellicks Alibi überprüft, und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Faith Sellick etwas mit Julias Verschwinden zu tun gehabt haben könnte. Denken Sie doch mal logisch darüber nach. Dafür hätte sie Julia zu dem Casting folgen, auf sie warten und sie aus dem Hinterhalt überfallen müssen …«
»Sie hätte sie nicht aus dem Hinterhalt überfallen müssen«, widersprach Cindy, obwohl sie wusste, dass sie sich an Strohhalme klammerte. »Sie hätte nur vorgeben müssen, in der Gegend einzukaufen, um Julia dann anzubieten, sie mit dem Wagen mitzunehmen.« Wie man einem Kind Süßigkeiten anbieten würde, dachte Cindy, als ihr Faiths Worte wieder einfielen. Es entstand eine kurze Pause, in der Cindy beinahe spüren konnte, wie Detective Gill die Achseln zuckte. »Kriegen Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
»Das wird nicht nötig sein.«
»Was soll das heißen, das wird nicht nötig sein? Warum nicht?«
»Weil die Sellicks uns bereits ihre Erlaubnis erteilt haben, ihre Wagen und ihr Haus zu durchsuchen.«
»Tatsächlich? Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach nichts finden werden.«
»Und das glauben Sie?« Warum fragte sie ihn das? Offensichtlich glaubte er das.
»Ich denke, wir müssen warten, ob die Spurensicherung noch ein echtes Indiz findet, das einen Zusammenhang zwischen den Sellicks und Ihrer Tochter herstellt.«
»Und wenn nicht? Können Sie sie nicht trotzdem verhaften?«
»Um Menschen zu verhaften, brauchen wir Beweise, Mrs. Carver«, erinnerte Detective Gill sie geduldig. »Wir könnten versuchen, ein Verfahren gegen Mrs. Sellick einzuleiten, weil sie diese Anrufe zugegeben hat, aber in Anbetracht ihres labilen psychischen Zustands bin ich mir nicht sicher, ob das viel Zweck hätte.«
Cindy atmete tief ein und schluckte den Wortschwall herunter, der sich in ihrer Kehle staute. Elvis lag auf dem Küchenboden, drehte sich auf die Füße,
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