Bevor der Abend kommt
einem Funkeln, als hätte jemand einen silbernen Farbtupfer darauf gesetzt. Trish hatte nicht übertrieben. Neil Macfarlane war wirklich süß. Mehr als süß. Er sah einfach umwerfend gut aus. Je weniger sie ihn ansah, umso besser für sie, hatte Cindy sofort entschieden.
(Erster Eindruck: Ein großer, schlanker Mann mit welligen braunen Haaren und einem jungenhaften Gesicht erwartet sie
am Fuß der eleganten offenen Treppe aus rotem Mahagoni, vor dem großen Fenster hinter ihm erstreckt sich verlockend die Stadt; er lächelt, und tiefe Grübchen zeichnen seine Wangen, während sie nervös auf ihn zugeht und die Stadt hinter ihm verschwimmt; er trägt ein blaues Hemd, das das leuchtende Blau seiner Augen betont, und als seine Hand die ihre ergreift, ist sie warm. »Cindy«, sagt er mit dem ruhigen Selbstvertrauen eines Mannes, der es gewohnt ist, Recht zu haben. »Neil?«, erwidert sie und kommt sich augenblicklich dumm vor. Wer sollte es sonst sein? Und sofort fühlt sie sich fehl am Platz.)
»Und was für Filme mögen Sie?«, fragte Neil, als der Weinkellner an den Tisch trat und stolz die gewünschte Flasche präsentierte, damit Neil sie begutachten konnte. »Sieht gut aus«, meinte der, ohne den Blick für eine Sekunde von Cindy zu wenden.
Cindy hingegen konzentrierte sich voll und ganz auf den Weinkellner, der langsam und fachmännisch begann, die Flasche zu entkorken. »Ich mag alle Filme«, sagte sie vage und war enttäuscht, dass der Korken kaum Widerstand leistete, sondern sich leicht aus dem Flaschenhals ziehen ließ.
Der Weinkellner bot Neil den Korken an, der pflichtschuldig daran schnüffelte und nickte, bevor er den Schluck probierte, den ihm der Kellner eingegossen hatte. »Sehr gut«, sagte er. »Ausgezeichnet. Er muss nur noch ein wenig atmen«, empfahl er ihr.
Das Gefühl kenne ich, dachte sie, sagte jedoch nichts, sondern sah zu, wie der Weinkellner ihr Glas halb voll goss.
»Sie haben also keinerlei Vorlieben?«, fragte Neil.
Was ist los mit dem Mann, fragte Cindy sich ungeduldig. Warum bestand er darauf, Konversation mit ihr zu machen? Im Grunde war es ihm schnurzpiepegal, was für Filme sie mochte, wie sie und Trish sich kennen gelernt hatten oder sonst irgendetwas. Und wenn nicht, interessierte es ihn nur, weil er mit ihr schlafen wollte und wusste, dass es seine Chancen enorm verbesserte,
wenn er zumindest so tat, als würde er sich für sie interessieren. Warum er allerdings mit ihr schlafen wollte, war ihr ein komplettes Rätsel. Man musste ihn doch nur ansehen, dachte Cindy und starrte vorsätzlich auf den Boden. Er hatte garantiert jeden Abend die freie Auswahl unter einer Reihe sehr viel attraktiverer, sportlicherer und jüngerer Frauen. Warum sollte er mit ihr schlafen wollen? Das war leicht, dachte sie. Er wollte mit ihr schlafen, weil sie hier war. So einfach war das. Es hatte nichts zu bedeuten.
Es hatte nichts zu bedeuten .
Wie oft hatte Tom ihr genau das erklärt?
Cindy hob den Kopf und blickte direkt in Neil Macfarlanes strahlend blaue Augen. »Ich mag Sex und Gewalt«, erklärte sie aufrichtig, und es war das erste Mal, dass sie das jemandem gestand.
»Was?«
»Sie haben gefragt, was für Filme ich mag. Ich mag Sex und Gewalt«, wiederholte sie, trank einen großen Schluck und spürte, wie der Wein ein wenig im Hals kratze. Neil hatte Recht. Er brauchte noch ein paar Minuten zum Atmen. Cindy warf ihre Haare nach hinten und trank einen weiteren Schluck. »Sie sehen schockiert aus.«
Neil lächelte, und die Grübchen rahmten seinen Mund wie Anführungszeichen. »Dass man Sex mag, kann ich verstehen. Aber Blut und Eingeweide?«
»Nein, nicht Blut und Eingeweide«, entgegnete Cindy und spürte, wie sich der Wein in ihrem Bauch zusammenrollte wie eine Katze in ihrem Korb. »Ich sehe auch nicht gern, wie Menschen möglichst ekelhaft zerfetzt werden. Ich glaube, was ich mag, ist eher die Bedrohung durch Gewalt, die Möglichkeit, das etwas Schreckliches passiert.«
»Frauen in Gefahr«, sagte Neil nüchtern und nickte, als hätte er kapiert, als hätte er schon alles verstanden, was es über sie zu wissen gab, als ob es nichts mehr zu entdecken gäbe.
»Ich hasse den Begriff«, erwiderte Cindy vehementer, als sie beabsichtigt hatte. » Frauen in Gefahr «, wiederholte sie und trank mutwillig einen weiteren Schluck Wein. »Das klingt so herablassend. Man hört die Leute nie sagen: Männer in Gefahr . Und geht es darum nicht letztendlich bei jedem Drama? Darum, dass
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