Bevor der Abend kommt
sich mit aufgerissenen leeren Augen und aschfahlem Gesicht auf das Bett sinken.
Sofort eilte Cindy an ihre Seite. »Oh, Mom«, sagte sie. »Es tut mir so Leid. Ich war so beschäftigt mit meinen eigenen Sorgen, dass ich nicht einmal daran gedacht habe, wie dich das Ganze mitnehmen könnte.«
»Dass du jetzt auch noch anfängst, dir meinetwegen Sorgen zu machen, ist das Letzte, was ich will.«
»Du bist immerhin ihre Großmutter.«
Ihre Mutter ließ den Kopf sinken. »Sie ist mein erstes Enkelkind«, flüsterte sie.
»Oh, Mom. Was, wenn sie nicht nach Hause kommt? Was, wenn wir nie erfahren, was ihr passiert ist?«
»Sie kommt bestimmt nach Hause«, sagte ihre Mutter mit fester Stimme, als könnte sie mit schierer Willenskraft garantieren, dass ihre Enkelin unversehrt heimkehrte.
Cindy nickte, ängstlich, weitere Fragen zu stellen. Die beiden Frauen saßen am Fußende des Bettes, hielten einander fest und warteten auf weitere Nachrichten von Julia.
Es war beinahe zehn, als Cindy hörte, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Sie beugte sich vor, schaltete den Fernseher stumm und wartete auf die Schritte im Flur. »Heather?«, rief sie. Heather hatte angerufen, um zu sagen, dass sie nicht zum Abendessen kommen würde, weil sie sich mit einigen Freundinnen treffen wollte und es spät werden könnte.
Elvis sprang vom Bett und rannte aus dem Zimmer. »Heather?«, rief Cindy noch einmal.
»Ich bin’s«, antwortete Duncan. Und kurz darauf tauchte sein Gesicht im Türrahmen auf, während Elvis mit solcher Begeisterung an seinen Beinen hochsprang, dass er den jungen Mann beinahe umgeworfen hätte.
»Duncan«, begrüßte Cindy ihn. »Ist Heather bei dir?«
Duncan schüttelte den Kopf, sein dunkles Haar fiel ihm in die Stirn. Er sah müde aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Seine für gewöhnlich glatte Haut war unsauber und blass. Aus seinen Klamotten wehte der abgestandene Geruch zu vieler Zigaretten. »Ich bin sicher, sie kommt bald nach Hause«, sagte er schwankend und lehnte sich an den Türrahmen, als wollte er sich abstützen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Cindy und dann: »Bist du betrunken?«
Duncan zog die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammen, als müsste er ernsthaft über die Frage nachdenken.
»Nein. Na ja, vielleicht. Nur ein bisschen.«
»Warum?«
»Warum?«, wiederholte er.
»Warum hast du getrunken?«
Er lachte, ein aufreizend feminines Kichern, das Cindy noch nie von ihm gehört hatte. »Muss man dafür immer einen Grund haben?«
»Ich glaube nicht, dass ich dich schon einmal betrunken gesehen habe.«
»Na ja …«
»Und seit wann rauchst du?«, bedrängte Cindy ihn weiter.
»Was?«
»Rauchen und trinken – das sieht dir gar nicht ähnlich.«
»Ich mache es auch nur selten«, verteidigte sich Duncan. »Nur hin und wieder, wissen Sie.«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Mrs. Carver, Sie machen mich ein bisschen nervös.«
»Weswegen bist du denn nervös?«
»Sind Sie wegen irgendwas wütend?«
»Weshalb sollte ich wütend auf dich sein?«
»Ich weiß nicht. Sie wirken bloß …«
»Erregt?«
»Ja.«
»Und du meinst nicht, dass ich dazu allen Grund habe?«
Duncan blickte den Flur hinunter zu dem Zimmer, das er mit Heather teilte. »Das habe ich nicht gesagt.« Er hielt inne, stieß sich von der Wand ab und wippte auf seinen Fersen. Er machte zwei Schritte, blieb dann stehen und starrte Cindy durchdringend an. »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte er vorsichtig. »Über Julia?«
»Nein. Duncan …«, rief Cindy, als er sich gerade abwenden wollte.
»Ja?«
»Was ist mit dir und Heather los?«
Duncan schluckte und rieb sich die Nase. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Irgendwas stimmt doch zwischen euch beiden offensichtlich nicht …«
»Wir haben bloß eine kleine Krise, Mrs. Carver. Das ist alles. Es ist mir eigentlich ziemlich unangenehm, darüber zu reden.«
»Wenn es irgendetwas wäre, das ich wissen sollte, würdest du es mir doch sagen?«
»Ich verstehe nicht.«
»Du weißt irgendwas, oder nicht?«
»Ich weiß, dass ich betrunkener bin, als ich dachte.« Er versuchte zu lachen, hustete jedoch stattdessen.
»Du weißt etwas über Julia«, sagte Cindy zu seinem heiseren Bellen.
Das Blut wich aus dem ohnehin schon blassen Gesicht des jungen Mannes, und er wirkte schlagartig nüchtern. »Über Julia? Nein. Natürlich nicht.«
»Du hast dich mit ihr gestritten …«
»Ja, aber …«
»Und dann ist sie
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