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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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gesagt?«
    »Nichts. Ich habe ihm bloß ein paar Fragen gestellt.«
    »Was für Fragen denn?«
    »Ich habe ihn nur gefragt … ob es irgendwas gäbe, was ich wissen sollte.«
    »Worüber?«
    »Über Julia.«
    »Über Julia? Wie kommst du darauf, ihn nach Julia zu fragen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wieso muss es immer um Julia gehen?«, wollte Heather plötzlich wissen. »Es geht mir so auf die Nerven, dass sich immer alles um Julia dreht. Es geht nicht um sie. Hier geht es um mich. Heather. Deine andere Tochter. Wenn du dich erinnerst?«
    »Heather, bitte. Deine Schwester wird vermisst …«
    »Julia wird nicht vermisst.«
    »Was?«
    Heather blickte zu Boden.
    »Wovon redest du? Willst du sagen, du weißt, wo sie ist?«
    »Nein.«
    »Was meinst du dann?«
    Zögernd sah Heather ihrer Mutter in die Augen. »Ich hab nicht gedacht, dass sie es ernst meint. Ich hab nicht gedacht, dass sie es wirklich tun würde.«
    »Wovon redest du?«, knurrte Cindy noch einmal leise. »Sag es mir.«
    »Das Ganze ist so bescheuert«, fing Heather an. »Julia war wütend auf Duncan, weil der sie nicht fahren wollte. Sie hat ihn beschimpft und ihn egoistisch und undankbar genannt. Sie hat gesagt, wenn er hier schon umsonst wohnen darf, könnte er sich wenigstens nützlich machen. Er hat ihr erklärt, dass er nicht ihr Chauffeur ist; sie hat gesagt, er soll verdammt noch mal hier verschwinden. Dann hab ich gesagt, sie soll verdammt noch mal hier verschwinden, weil alle ihre hysterischen Anfälle gründlich satt hätten, worauf sie meinte, sie könnte es gar nicht erwarten, hier wegzukommen, sie würde mich hassen und ich wäre der ›Fluch ihres Lebens‹. Und dann hat sie gesagt, sie würde vielleicht nicht warten, bis sie genug Geld zusammengespart hätte, um sich eine eigene Wohnung zu leisten, sondern am liebsten noch heute ausziehen. Vielleicht würde sie nach ihrem Casting gar nicht mehr nach Hause kommen.«
    Die Worte trommelten auf Cindy ein wie die Fäuste eines Boxers. »Was?«
    »Ich hab nicht gedacht, dass sie es wirklich ernst meint.«
    »Warum hast du mir das nicht früher erzählt?«
    »Wann denn? Als die Polizei hier war? Du bist doch schon ausgeflippt, als Fiona nur angedeutet hat, dass Julia vielleicht ein bisschen Zeit für sich brauchte. Du hast ihr vorgeworfen,
die Ermittlungen zu sabotieren. Ich wollte nicht … ich meine, bloß für alle Fälle … ich wusste nicht …«
    Cindy bemühte sich, das Gestammel ihrer Tochter zu begreifen. War es möglich, dass Julia in einem Anfall von gekränktem Stolz einfach abgehauen war? Konnte sie so rachsüchtig, so gedankenlos, so gemein sein? Konnte sie einfach verschwinden, um etwas zu demonstrieren?
    Nein. Das war unmöglich. Egal wie wütend Julia auf ihre Schwester war, egal wie egoistisch und egozentrisch sie vielleicht sein konnte, sie würde ihre Familie nie im Leben dieser andauernden Tortur aussetzen. Sie wäre vielleicht ein paar Stunden weggeblieben, um ihrer Schwester eine Lektion zu erteilen, möglicherweise sogar über Nacht. Aber nicht so lange. Nicht so lange.
    »Nein«, sagte Cindy laut. »So etwas würde Julia nie machen. Sie weiß, was für Sorgen wir uns alle machen würden.«
    »Wach auf, Mom«, sagte Heather nachdrücklich. »Der einzige Mensch, um den Julia sich je Sorgen gemacht hat, ist sie selbst. Sie …«
    Was immer Heather sonst noch sagen wollte, wurde von Cindys Hand erstickt, die flach auf die Wange ihrer Tochter klatschte. Heather hielt die Luft an und taumelte zu Boden.
    »Oh, mein Baby, es tut mir so Leid«, rief Cindy sofort und streckte in der Dunkelheit die Arme nach ihrer Tochter aus, während ein Streifen Mondlicht auf die Blutstropfen fiel, die über Heathers Mund sickerten wie schlecht aufgetragener Lippenstift.
    Heather wich vor der Berührung ihrer Mutter zurück. »Nein, es tut dir nicht Leid.« Sie stand auf und rannte die Stufen zur Terrasse hinauf. »Gib es zu, Mom«, sagte sie, eine Hand schon an der Schiebetür, »das Einzige, was dir Leid tut, ist, dass ich hier stehe und nicht Julia.« Der schlichte Satz purzelte die Treppe hinunter, prallte vom feuchten Rasen ab und traf Cindy direkt zwischen die Augen.

    Sie stand am Fuß der Treppe, zu schwach, um sich zu rühren, zu benommen, um zu fallen. So musste es sich anfühlen, wenn man erschossen wurde, dachte sie, während Heather im Haus verschwand. Der Moment, bevor man zusammenbricht.
    Cindy blickte zur leuchtenden Mondsichel auf und suchte am wolkenverhangenen Himmel nach

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