Bevor der Abend kommt
die Sorge ihrer Freundin aufrichtig war, ihre Liebe und Unterstützung unerschütterlich. Sie begriff, dass Meg und Trish für sie da sein wollten, um sie zu trösten und zu beschützen, aber sie erkannte auch, dass die beiden trotz aller guten Absichten nie wirklich verstehen konnten, was sie durchmachte. Genau wie sie den Kummer nie ganz begriffen hatten, mit dem sie all die Jahre gelebt hatte, als
Julia bei ihrem Dad gewohnt hatte. Trish mit ihrem Mann und ihrem perfekten Sohn, Meg mit ihren beiden wunderbaren Söhnen. »Mütter, die nur Söhne haben, sind eine andere Rasse«, hatte ihre eigene Mutter ihr einmal erklärt. »Sie haben keine Ahnung.«
Ihre Freundinnen waren nicht rücksichtslos, dachte Cindy. Sie waren vielmehr gütig und aufmerksam und alles, was wahre Freundinnen sein sollten. Sie kapierten es bloß nicht. Wie konnten sie auch? Sie hatten keine Ahnung.
Wir reden hier schließlich von Julia.
Du weißt doch, wie sie sein kann.
(Ein entscheidender Moment: Tom sitzt ihr gegenüber am Küchentisch und verschanzt sich hinter seiner Zeitung. »Für dich ist nie etwas gut genug«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Sie haben sich seit dem vergangenen Abend gestritten. Cindy kann sich kaum noch erinnern, worum es eigentlich geht. »Das ist nicht wahr«, entgegnet sie matt und führt ein Glas Orangensaft zum Mund und wünscht sich, dass er die Zeitung sinken lässt, damit sie sein Gesicht sehen kann.
»Natürlich ist es wahr. Sei ehrlich, Cindy. Ich entspreche einfach nicht deinen hohen Ansprüchen.«
»Wovon redest du überhaupt? Das habe ich nie gesagt.«
»Du hast gesagt, ich hätte Leo Marshall ein Messer in den Rücken gestoßen.«
»Ich habe gesagt, dass es mich überrascht hat, dass du ihn vor seinem Mandanten heruntergemacht hast.«
»Sein Mandant ist vierhundert Millionen Dollar schwer. Bei Leo kriegt er nicht die angemessene Leistung für sein Geld. Bei mir schon.«
»Ich dachte, Leo Marshall wäre dein Freund.«
»Freunde«, schnaubt Tom. »Freunde kommen und gehen.«
Cindy spürt, wie das Glas Orangensaft in ihrer Hand zittert. »Letztendlich heiligt also der Zweck die Mittel?«
»In den meisten Fällen schon. Kannst du jetzt von deinem hohen Ross heruntersteigen?«
»Kannst du die Zeitung weglegen?«
»Ich weiß nicht, was du noch von mir willst.«
»Ich möchte, dass du die Zeitung weglegst. Bitte.«
Er lässt die Zeitung sinken und starrt sie über den Tisch hinweg wütend an. »So. Bist du jetzt glücklich? Die Zeitung ist weg. Du hast deinen Willen bekommen.«
»Es geht nicht darum, dass ich meinen Willen bekomme.«
»Die Zeitung ist doch weg, oder nicht?«
»Das ist nicht das Thema.«
Tom sieht ungeduldig auf die Uhr. »Also, es ist jetzt halb neun. Ich würde ja den ganzen Morgen hier sitzen bleiben und mit dir über wichtige Themen diskutieren, aber manche Menschen müssen arbeiten.« Er schiebt seinen Stuhl zurück. »Ich habe heute Abend eine Besprechung. Rechne nicht zum Essen mit mir.«
»Wer ist es denn diesmal?«, fragt Cindy.
Tom steht wortlos auf.
»Tom?«, sagt sie und packt ihr Glas fester.
Er sieht sie kopfschüttelnd an. »Was noch?«
Wahrscheinlich ist es dieses was noch und nicht die andere Frau, was das Fass zum Überlaufen bringt. »Das«, antwortet sie schlicht und schüttet ihm den Saft ins Gesicht.)
Dieser Moment war das Ende ihrer Ehe.
Auch wenn sie und Tom noch etliche weitere Jahre zusammengeblieben waren, war die Scheidung unvermeidlich gewesen, sobald der Orangensaft ihr Glas verlassen hatte. Danach wurde das Ganze lediglich zu einer Frage der Zeit und des Sammelns von Kräften.
Mit Meg und Trish war es das Gleiche, erkannte Cindy nun, und eine unbeschreibliche Traurigkeit sickerte durch ihre Poren bis ins Mark.
Wir reden hier schließlich von Julia.
Du weißt doch, wie sie sein kann.
Vielleicht war es nicht so dramatisch wie ein ausgeschüttetes Glas Saft, doch ein weiterer entscheidender Moment war leise, aber unerbittlich verstrichen. Ja, Meg und Trish waren ihre besten Freundinnen. Sie liebte sie und fühlte sich von ihnen geliebt. Aber nun waren unvorhersehbare Umstände eingetreten und hatten ihre Freundschaft subtil und für immer verändert. Cindy begriff, dass ihre Beziehung nie wieder ganz so sein würde wie vorher, auch wenn sich die drei Freundinnen alle Mühe geben würden, das Gegenteil vorzutäuschen.
Eine andere Frau war zwischen sie getreten.
Ihr Name war Julia.
18
Als Cindy die Augen aufschlug,
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