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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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acht hierher, um den kleinen Gutti abzuholen, das ist mein Enkel.« Bei diesen Worten deutete er auf den Jungen, der aufmerksam zuhörte, und fuhr fort: »Dann erst habe ich das Auto gesehen. Ich musste aber zuerst meine Schafe versorgen, das hat so etwa anderthalb Stunden gedauert, und als ich im Schafstall fertig war, sah ich, dass das Auto immer noch dort stand und nicht bewegt worden war.«
    »Und dann bist du los und hast dich nach dem Mann umgesehen?«
    »Ja. Es ging mich zwar im Grunde genommen gar nichts an, aber ich habe trotzdem nach ihm gesehen.«
    »Und was geschah als Nächstes?«
    »Als ich sah, was da los war, bin ich zurück zum Hof, um den Amtmann zu verständigen.«
    »Hast du dort irgendetwas angerührt?«
    »Ich habe nur ganz kurz den Mann berührt, er war eiskalt. Mit anderen Worten: schon lange mausetot. Der Kopf war ja auch halb ab und das Bein ebenfalls. Das konnte ich dem Amtmann sagen.«
    »Hast du eine Flinte bei ihm gesehen?«
    »Nein, ich habe keine Flinte gesehen.«
    Jetzt übernahm Birkir das Fragenstellen: »Hast du heute Morgen irgendwelchen Verkehr hier bemerkt?«
    »Nein.«
    »Hast du gehört, als der Mann kam?«
    »Nein.«
    »Wann hast du die Schüsse gehört?«
    »Ich hab euch doch eben gesagt, das war bei Tagesanbruch.«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Vielleicht ging es schon auf sieben zu. Ich bin aufgestanden und habe Hafergrütze für den Jungen gekocht. Er musste ja zur Schule.«
    »Wie viele Schüsse waren es?«
    »Ich habe sie nicht gezählt.«
    »Waren es mehr oder weniger als fünf?«
    »Mehr.«
    »Mehr oder weniger als zehn?«
    »Mehr.«
    »Zwanzig?«
    »Mehr.«
    »Dreißig?«
    »Vielleicht.«
    »Hast du auch Signalschüsse gesehen?«, fragte Gunnar.
    »Habe ich was gesehen?«
    »Der Tote scheint Signalpatronen abgefeuert zu haben, die leuchten rot.«
    »Wir haben während der Schießerei nicht aus dem Fenster geschaut. Wir waren ja noch im Bett.«
    »Besitzt du selber ein Gewehr?«
    »Das kann man so sagen.«
    »Was für ein Gewehr?«
    »Ich besitze eine alte doppelläufige Schrotflinte, die ich für Schädlinge verwende.«
    »Machst du selber Jagd auf Gänse?«
    »Das kann vorkommen, wenn ich was für den Topf brauche und die Vorratskammer leer ist. Allerdings ist das kein Essen nach unserem Geschmack.«
    Der alte Mann steckte den Wetzstein in die Tasche, wandte sich wieder dem toten Lamm zu und setzte das Messer an.
    »Könnten wir uns dein Gewehr einmal ansehen?«, fragte Gunnar weiter.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Habt ihr dazu eine Befugnis?«
    »Wir können eine erwirken.«
    »Dann tut das gefälligst«, forderte der alte Mann. Zu Gunnar gewendet trat er zwei Schritte auf sie zu, hob das Messer und sagte: »Lass es dir gesagt sein, mein Lieber, meine Flinte gebe ich nicht her, da könnt ihr machen, was ihr wollt. Irgendwas muss man ja zur Hand haben, um sich notfalls damit umbringen zu können.« Er ließ das Messer sinken und fuhr fort: »Wenn sie mit ihren Bulldozern anrücken, um hier alles platt zu machen.«

15:40
    B irkir entriegelte das Schloss am Nissan Patrol Jeep mit der Fernbedienung am Schlüssel und öffnete die rechte Vordertür. Das Auto schien erst kürzlich von innen und außen gründlich gesäubert worden zu sein. Nirgendwo war Staub oder Dreck zu sehen. Auf dem Rücksitz lagen eine Thermoskanne und ein eingepacktes Sandwich. Ein Handy, eine angebrochene Schachtel Zigaretten und eine Brieftasche mit einigen Geldscheinen und diversen Karten befanden sich im Handschuhfach. In der Brieftasche steckte eine Tankstellenquittung.
    »Er hat heute Morgen um 3.55 Uhr an der Tankstelle in Ártúnshöfði getankt«, sagte Birkir.
    »Er hat also zwei Stunden für die Fahrt hierher gebraucht«, entgegnete Gunnar. »Ich gehe davon aus, dass er vor sechs hier gewesen ist. Später kann es eigentlich nicht gewesen sein,wenn er sichergehen wollte, den ganzen Morgenstrich zu erwischen.«
    »Warum hat er denn das Auto so weit weg von der Ruine abgestellt?«, fragte Birkir. »Er hätte doch noch ein ganzes Stück weiter fahren können, genau wie wir.«
    Gunnar öffnete die hintere Tür und antwortete: »Der Mann hat genau gewusst, was er tat. Gänse halten sich an das Gewohnte. Die Vögel, die diese Gegend besuchen, kennen die Umgebung ganz genau. Ein Auto am falschen Ort reicht, um sie zu verscheuchen.«
    Gunnar untersuchte den Kofferraum. Zwei große Kühlboxen nahmen den meisten Platz ein. Sie waren leer und einigermaßen sauber,

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