Bevor der Morgen graut
Erkennungsdienst sind immer noch bei der Arbeit.«
17:30
E s hatte bereits angefangen zu dunkeln, als ein kleiner Transporter in die unbefestigte Straße nach Litla-Fell einbog und bei den Polizeiwagen hielt. Ein großer Polizist in Uniform stieg aus, grüßte Birkir fröhlich und öffnete die Heckklappe, wo eine Hundebox zum Vorschein kam. Ein großer Labrador erhob sich steif von seiner Decke und gähnte.
Der Polizist öffnete den Käfig und rief: »Komm raus, Bingo, raus.«
Der Hund schüttelte sich und sprang aus dem Wagen, lief ein paar Schritte herum und pinkelte an ausgewählten Stellen.
»Was bedeutet denn das, Bingo?«, fragte Birkir.
»Er heißt Bingo«, antwortete der Polizist, und der Hund bellte zwei Mal kurz wie zur Bestätigung.
Sie machten sich auf den Weg zum Tatort, und Birkir beschrieb dem Neuankömmling den Stand der Dinge. Die Leiche war bereits abtransportiert worden, geblieben waren eine dunkle Blutlache und die Umrisse der Leiche, die Anna mit weißer Farbe aus einer Spraydose nachgezogen hatte, und nicht weit davon die Umrisse eines einzelnen Beins. Der Polizist aus Búðardalur hatte den Kadaver des Hundes weggeschafft, dessen Position ebenfalls an weißen Linien zu erkennen war.
Sie beschlossen, zunächst mit dem Hund zum Graben zu gehen, wo der Täter vermutlich auf der Lauer gelegen hatte. Dort wurde dem Tier das Zeichen gegeben, mit der Suche zu beginnen. Es nahm mit der Nase am Boden die Witterung auf und drehte sich zuerst ein paar Mal um sich selbst, während sein Trainer es mit kurzen Zurufen ermunterte. Birkir verfolgte das Ganze aus einiger Entfernung und notierte sich so gut er konnte das Verhalten des Tieres in sein Notizbuch. Schließlich rannte der Hund hoch zum Hang und schnüffelte dort zwischen ein paar Felsbrocken herum. Die längste Zeitblieb er hinter dem Stein, wo sie die Patronenhülsen gefunden hatten. Das verwelkte Gras bei dem Stein war ziemlich platt gedrückt. Von dort hatte man einen guten Überblick über die Ruine, und dort hatte der Schütze wahrscheinlich einige Zeit auf der Lauer gelegen. Nach erneuten Anweisungen des Trainers machte der Hund wieder kehrt und rannte dann den Feldweg entlang fast bis zur Landstraße. Dort blieb er stehen und bellte aus Leibeskräften, und die Hunde auf Litla-Fell stimmten darin ein.
Birkir kam zu dem Resultat, dass der Schütze möglicherweise allein am Werk gewesen war und aus zwei Richtungen auf die Ruine geschossen haben könnte. Mehr Schlüsse waren nicht daraus zu ziehen, und die Kriminalbeamten schickten den Polizisten mitsamt seinem Hund in die Stadt zurück.
Während Birkir mit dem Hund beschäftigt war, half Gunnar den beiden Leuten vom Erkennungsdienst bei der Anfertigung einer Tatortskizze. Die Entfernungen wurden mit einem langen Messband ermittelt, und er notierte sich alles ganz präzise. Sämtliche Stellen, an denen Schüsse eingeschlagen waren, wurden nummeriert. Die meisten Nummern befanden sich in und bei der Ruine, doch das Opfer hatte auch einige Schüsse auf den Hang abgegeben, aber allem Anschein nach völlig ins Blaue, denn kein einziger Schuss war in der Nähe der Stelle eingeschlagen, wo sich ihrer Meinung nach der Schütze befunden hatte.
Anna suchte lange nach erkennbaren Fußabdrücken. Das ganze Gelände war bewachsen, und entsprechend war der Boden nach einigen Tagen Trockenwetters sehr hart. Höchstens im Graben konnte man noch damit rechnen, Spuren zu finden. Der Grund des Grabens war nicht bewachsen, sodass es im Erdreich Spuren hätte geben können, aber sie fand nichts dergleichen. Die Erde war zwar frisch aufgewühlt, aber es gab keine deutlichen Abdrücke.
»Ich hab das Gefühl, dass er da am Werke war«, sagte Anna. »Es hat ganz den Anschein, als habe er seine Spuren mit irgendwas verwischt. Vielleicht mit dem Gewehrkolben.«
Sie vermaß die Stelle mit der aufgewühlten Erde und fotografierte sie. Zum Schluss machte ihr Kollege einen Kunststoffabguss von einem Abdruck, der von einem Gewehrkolben stammen konnte.
21:00
I m Kommissariat an der Hverfisgata herrschte keine Hektik, als die diversen Mitglieder des Ermittlungsteams einer nach dem anderen eintrafen. Das Haus war nahezu menschenleer, und nur noch in ganz wenigen Zimmern brannte Licht. Eine junge Frau putzte den Korridor und trällerte ein Lied aus dem Radio mit, das sie in ihrem Kopfhörer hörte. Ihr war offensichtlich nicht klar, wie entsetzlich das klang, vielleicht war es ihr auch völlig egal.
Im Konferenzraum
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