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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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zuzuweisen, falls er das denn akzeptiert. Das Problem ist jedoch der Junge, und soweit ich weiß, hat sich auch die Tochter in den letzten Monaten des Öfteren auf Litla-Fell aufgehalten. Sie hat nämlich inzwischen ihren Wohnsitz hier, deswegen muss die Kommune auch eine Lösung für Mutter und Sohn finden.«

15:00
    E s war an der Zeit, sich näher mit dem ehemaligen Besitzer von Litla-Fell zu befassen.
    Birkir und Gunnar beschlossen, zu Fuß zum Wohnhaus zu gehen und sich unterwegs umzuschauen. Die Auffahrt zum Hof war holprig, und Gras wuchs zwischen den Radspuren. Zu beiden Seiten verliefen Entwässerungsgräben entlang der Heuwiesen, die voller Blüten waren. Am Wegesrand grasten ein paar Schafe.
    Vom Hof her kam ihnen ein Auto entgegen, ein alter Ford Econoline mit großen Reifen, der mit einem Schild als Schulbus gekennzeichnet war. Die beiden Kriminalbeamten wichen an den Rand des Wegs aus, und während das Auto an ihnen vorbeifuhr, sahen sie für einen Augenblick die neugierige Miene des Fahrers. Ein paar Kinder pressten ihre Gesichter an die Scheiben und starrten die beiden an.
    Sie blickten dem Auto nach, bis es jenseits des Hügels verschwunden war.
    »Also ist wahrscheinlich der Enkel aus der Schule zurück«, sagte Gunnar und setzte sich wieder in Bewegung.
    Birkir blickte zur Ruine des alten Hauses zurück.
    »Meines Erachtens ist das ein sehr eigenartiger Mord«, sagte er. Gunnar blieb stehen und wartete darauf, dass Birkir fortfuhr: »Falls du einen Mann mit einer Schrotflinte umbringen willst, wie würdest du das anfangen?«
    »Wie ich vorhin schon gesagt habe, würde ich keine Schrotflinte verwenden, sondern eine Büchse«, antwortete Gunnar.
    »Und warum keine Schrotflinte?«
    »Schrotflinten sind dazu da, um kleinere Tiere aus geringer Entfernung zu erlegen. Wenn man einen Menschen zu töten beabsichtigt, verwendet man dazu eine Büchse.«
    »Tatsächlich? Aber wenn du nur eine Schrotflinte zur Verfügung hättest?«
    Gunnar dachte eine Weile nach und entgegnete dann: »Eine Schrotflinte ist eine effektive Waffe für geringe Distanzen, doch bei größerer Entfernung taugt sie nichts. Falls ich einen Mann mit so einer Waffe erschießen wollte, würde ich ihm zuerst aus allernächster Nähe in den Bauch schießen und dann in den Kopf.«
    »Warum zuerst in den Bauch?«
    »Da ist er am einfachsten zu treffen, und er würde sich auch nicht mehr wehren können, falls er ebenfalls bewaffnet wäre.«
    Birkir dachte darüber nach und fragte dann: »Aber falls er auf der Hut und auf einen Angriff deinerseits gefasst wäre?«
    »Dann würde ich mich an ihn heranschleichen, so nah wie möglich, und aus kurzer Distanz schießen. Falls möglich, würde ich Flintenlaufgeschosse als Schrotpatronen verwenden.«
    »Was ist das denn?«, fragte Birkir. Obwohl er durchaus imstande war, mit einer Schrotflinte umzugehen, sie zu laden und einige Schüsse abzufeuern, verstand er sich wenig auf solche Jagdwaffen.
    »Ein Flintenlaufgeschoss heißt auch Brenneke nach dem Erfinder, und es handelt sich um eine große Kugel in einer Patrone für Schrotflinten. Damit kann man sogar auf ziemlich große Entfernung einen Eisbären erledigen.«
    »Das ist eine Theorie, der wir nachgehen müssen«, sagte Birkir und fuhr nach einer Weile fort: »Der Rechtsanwalt hat Grund gehabt, vor dem Angreifer auf der Hut zu sein, und er hat versucht, sich zu wehren. Die müssen sich also gekannt haben.«
    »Wieso?«, fragte Gunnar.
    »Wenn ein Unbekannter zu dir kommt, während du hier in der Gegend auf Gänsejagd bist, fällt dir doch nicht als Erstes ein, dass er es auf dich abgesehen hat, auch wenn er bewaffnet ist. Es sei denn, du bist in eine extrem dubiose Geschichteverwickelt. Oder du weißt, dass dieser Mann nichts Gutes im Schilde führt.«
    Gunnar zuckte die Achseln. »Vielleicht war es jemand, der dort auch Gänse schießen wollte, aber ohne Erlaubnis. Der Besitzer des Landes hat ihn wegjagen wollen, und das Zusammentreffen hat dann ein so schreckliches Ende genommen. Es ist bestimmt nicht das erste Mal, dass es zu Auseinandersetzungen wegen eines guten Jagdreviers gekommen ist, auch wenn sie sonst nicht mit einem blutigen Schusswechsel geendet haben.«
    »Das könnte ebenfalls eine brauchbare Theorie sein«, sagte Birkir. »Wir werden sehen.«
    Das letzte Stück der Zufahrt nach Litla-Fell ging steil bergan, und sie schwiegen, während sie die Steigung erklommen. Als sie auf dem Hofplatz angekommen waren, blieben sie stehen und

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