Bevor du gehst
unglaublich hässlich. Haufenweise Messing – alles blinkte –, und kein Stuhl sah aus, als könnte man bequem darauf sitzen.
In Vinnies Zimmer wummerte Rap, zu dem er abwechselnd Bizepscurls mit Zwanzigkilohanteln und Liegestütze machte. Sein nackter Oberkörper glänzte, im Zimmer miefte es nach abgestandener Luft und Schweiß. Am Kleiderschrank hing ein bis zum Boden reichender Spiegel, der anscheinend oft benutzt wurde.
Vinnie wirkte ziemlich aufgekratzt. »Scheiße, Mann, jetzt kann’s losgehen. Bin zu allem bereit, warum nicht, verdammt. Noch schnell die Kanone laden, dann können wir die Stadt niederbrennen.«
Der Wortlaut war vielleicht nicht immer der gleiche, aber das in etwa war die vorherrschende Stimmung bei Canino junior. Vinnie näherte sich dem Leben wie ein Labradorwelpe. Begeistert hüpfte er herum, voll überschüssiger Energie, gutmütig und oft tollpatschig. Dadurch passte er eigentlich gar nicht so gut zu Jude und Corey, doch im wirklichen Leben ergaben sich solche Freundschaften ständig. Manchmal hing man mit bestimmten Leuten nur aus alter Gewohnheit herum, so wie man die ausgetretenen Abkürzungen zur Schule nahm. Mit der Zeit stellten sich die Leute aufeinander ein und nahmen die Macken der anderen geduldig hin. Vinnie war ein netter Typ und immer gut für einen Lacher. Der Hengst hatte Geld und wie seine Freunde noch keinen besseren Zeitvertreib gefunden – obwohl er praktisch rund um die Uhr daran arbeitete. Wie ein Fischer auf dem Pier angelte Vinne permanent nach der Zuneigung irgendeiner Schönen. Und darauf zielte normalerweise auch die erste Frage, die Vinnie über die Lippen kam. »Wo sind die Mädels heute Abend? Irgendwelche Partys? Läuft was?«
Der Hengst wusste, dass eine klägliche Antwort auf ihn wartete – die wesentlichen Informationen hatten schon per SMS die Runde gemacht. Doch das war eben Vinnie, immer optimistisch. Mit glühendem Eifer folgte er seinem Jagdinstinkt. Irgendwo da draußen im Meer war ein Mädchen, vielleicht eine aus dem Zirkus geflohene Akrobatin, die zu den unbeschreiblichsten Taten bereit war. Er musste nur den richtigen Köder anbringen und sie an Land ziehen.
Der Hengst nahm eine schnelle Dusche, rasierte sich, bespritzte sich großzügig mit Eau de Cologne und war fertig, als der rothaarige Lee im Explorer seiner Mutter auftauchte. Er stoppte unten an der Straße und hupte.
Der Hengst stürmte durch die Haustür und rief: »Shotgun, kein Blitz!«
Corey und Jude hatten nie eine Chance. Wenn es darum ging, Shotgun zu rufen – und damit Anspruch auf den Beifahrersitz zu erheben –, war keiner so schnell wie der Hengst. Mit dem Zusatz kein Blitz schützte Vinnie sein Recht vor dem gefürchteten Blitzangriff eines anderen, der losrannte, um als Erster die Beifahrertür zu erreichen. Die Jungs hielten sich an die offiziellen Shotgun-Bestimmungen, ein strenges Regelwerk, das befolgt wurde, als hätte es Moses persönlich auf Steintafeln vom Berg herabgetragen. Selbst Amateure wussten, dass man vorn sitzen durfte, wenn man »Shotgun!«rief. Aber es gab mehrere komplizierte Klauseln und Schlupflöcher. Zum Beispiel konnte man nicht im Voraus, von drinnen und ohne Schuhe an den Füßen Shotgun rufen. Das war der sogenannte »Canino-Nachtrag«, eine Regel, die eingeführt worden war, nachdem Vinnie barfuß hinausgerannt war, während seine Gäste an der Eingangstür in ihre Turnschuhe schlüpften. Die Freundin eines Fahrers musste nicht »Shotgun« rufen, ihr Anspruch auf den Beifahrersitz galt automatisch. Und so weiter.
Als er sich vorn niedergelassen hatte, klopfte sich Vinnie auf die Taschen. »Stopp, ich hab meine Brieftasche vergessen«, knurrte er. Vinnie war klar, dass er Gefahr lief, gegen die Wiedereinstiegsregel zu verstoßen, die besagte, dass man den Beifahrerstatus verlor, wenn man aus irgendeinem Grund noch einmal nach drinnen musste. Leicht geknickt trabte der Hengst zurück zum Haus und zog eine dicke Eau-de-Cologne-Fahne hinter sich her wie die Abgaswolke eines Düsenflugzeugs.
Als Vinnie zurückkam, hatte Corey den Beifahrersitz belegt. Jude hatte es von hinten aus kaum mitgekriegt. Gerade hatte er nämlich wieder eine SMS von Becka bekommen.
Meine Hand steckt gerade in einer Dose Pringles!
11
»Hab heute mit Duffmeister geredet«, verkündete Vinnie vom Rücksitz. »Er ist total fertig.« Vinnie sprach natürlich von ihrem Freund Terry O’Duffigan, alias Duffmeister. Laut Vinnie hatte Terry letzte Nacht eine Flasche
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