Bevor du gehst
ausgedrückt. Vielleicht war das ein Problem, vielleicht nicht. Corey kannte Becka nicht, und auch Jude kannte sie noch kaum.
»Vielleicht ist sie im Übergang«, sinnierte Corey.
»Was?«
»Offen für Veränderungen. Ich weiß auch nicht. Bin kein Liebesdoktor. Gehen wir lieber rüber zum Hengst. Er hat gemeint, Lee holt uns dort ab.«
»Lee hat doch das Auto von seiner Mutter«, beschwerte sich Jude. »Warum kann er nicht einfach hier vorbeirollen und uns mitnehmen?«
»Lässt sich mal wieder seine Macht raushängen«, erklärte Corey. »Aber kein Problem. Mit den Rädern sind wir in fünf Minuten dort.«
»Es regnet nicht mehr«, meinte Jude. »Gehen wir lieber.«
»Sag ich doch.«
Vinnie Canino war der Nächste in Judes innerem Kreis. Die Jungs nannten ihn Hengst, seit Corey den Film Rocky mit Sylvester Stallone gesehen hatte. Stallone war das italienische Wort für Hengst, und so wurde Vinnie Canino zum italienischen Hengst. Verkürzt zu Hengst blieb dieser liebevolle Beiname an ihm kleben. Allerdings benutzten ihn nur seine Freunde, er wurde nicht zum Virus. Für die anderen an der Highschool war er einfach Canino, oder Vinnie C. – immer Vinnie, niemals Vin oder Vincent.
Jungen im Teenageralter sind nur selten wie ihre Väter. Es heißt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – doch manchmal hüpft er, rollt einen Hang hinunter und entfernt sich so weit von dem Baum, wie es einem Apfel nur möglich ist. Vor allem wenn der Apfel ein Teenager und sein Dad ein Blindgänger ist. Die wenigsten Sechzehnjährigen hören gern, dass sie genau wie ihr Vater sind. Das galt auch für Vinnie Canino. Bloß dass es in Vinnies Fall die reine Wahrheit war. Er war eine jüngere Ausgabe seines alten Herrn, die der Meister des Universums mit seiner fantastischen Kopiermaschine ausgespuckt hatte. Ein Mini-Mann. Ein Klon. Ein Blick auf Mr. Canino genügte, um Vinnies Schicksal zu kennen. Die beste Art, Vinnie zu beschreiben, war also, an der Türglocke seines Hauses zu klingeln und darauf zu hoffen, dass sein Vater öffnete.
»Hey, hey, wie geht’s euch so heute Abend, Jungs? Kein Regen mehr, hmm?« Mr. Canino steckte den Kopf durch die Tür und sog mit heftigem Schnaufen die Luft ein. »Schaut euch bloß die Wolken an. Wunderschön. Hab ich recht oder hab ich recht?« Die Frage war rhetorisch. Mr. Canino wusste natürlich, dass er recht hatte; das stand auch nie infrage. Er besaß das Selbstvertrauen, das alle Väter mitbrachten, egal, ob sie Hirn hatten oder nicht.
Mr. Stanley Canino war klein und stämmig, eine Art italienischer Hydrant. Er war immer braun und trug teure gebügelte Jeans und ein schwarzes Satinhemd wie ein Entertainer aus Las Vegas. Kringeliger Brustpelz versuchte, oben aus seinem Hemd zu kriechen. Das schwarze Haar war zu einem straffen Pferdeschwanz nach hinten gebunden, der Mr. Canino von seinen Nachbarn unterschied, die keine Pferdeschwänze hatten. An den Wochenenden verdiente er sich als Drummer in einer Hochzeitsband was dazu, die die Hits aus den Siebzigern, Achtzigern, Neunzigern und Nullern spielten. Er war ein in die Jahre gekommener Romeo, und seine hinreißende Frau Melinda hatte offenbar von einigen chirurgischen Verschönerungsmaßnahmen profitiert, die alles an ihr bis in alarmierende Dimensionen aufgeblasen, aufgezogen und aufgerundet hatten. Irgendwas an ihrem Gesicht stimmte nicht. Vinnies Mom befand sich im Krieg gegen Zeit und Schwerkraft, sicherlich angefeuert von Stanley Caninos behaartem Eifer und offenem Scheckbuch.
»Vinnie ist oben in seinem Zimmer – ihr kennt ja den Weg. Kommt schon, ihr lasst die Mücken rein.« Er lächelte strahlend, wenn auch leicht zerstreut, und redete die ganze Zeit wie ein Maschinengewehr. Mr. Canino mochte Jude und hatte sogar ein paarmal mit ihm gejammt zu alten Klassikern wie »Bell Bottom Blues« und »Little Wing«. Oft drückte er Jude irgendwelche CD s in die Hand, und manchmal grub er sogar die Vinylscheiben aus. Trotzdem lachte Mr. Canino am meisten mit Corey. Nur bei ihm ging er in die Boxerhocke und zog die ganze Kumpelshow ab. Das war eine Tatsache. Corey war bei allen Eltern beliebt; er hatte eine natürliche Gabe, das zu sagen, was Eltern hören wollten. Und dabei war er nicht verlogen. Ohne sich anzustrengen, machte Corey die Leute glücklich.
Die Jungs wussten, dass sie nach dem Eintreten die Schuhe ausziehen mussten; es war diese Sorte Haus, und die Caninos waren diese Sorte Familie. Die Einrichtung war überladen und
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