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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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der Durchgeknallte, der Mann, der Mythos, die Legende.« Jude war dankbar für den Themenwechsel. »Das glaub ich erst, wenn ich es sehe.«
    »Roberto meint, das ist der coolste Chef aller Zeiten.«
    »Genau, wie Ernie aus der Sesamstraße.«
    »Ernie? Wie?« Becka lächelte, und ihre Augen leuchteten wie Scheinwerfer.
    »Dieser Typ, Kenny Mays, ist angeblich der größte Paryfeierer auf dem Planeten. Sein Beiname ist durchgeknallt. «
    Becka lachte. »Der durchgeknallte Mays – sind da irgendwelche Sicherungen durchgebrannt? Wer lässt sich so was einfallen? Ich weiß nicht, klingt irgendwie komisch. Wie wird der größte Partyfeierer der Welt zum Chef einer Imbisshalle?«
    Jude zuckte die Achseln – keine Ahnung.
    Becka, immer die Königin der Spekulation, schien an dieser Frage herumzukauen. Plötzlich strahlte sie. »Gerade ist mir was eingefallen. Hast du auf dem Anschlagbrett den Hinweis auf das Softballspiel gesehen? Das findet demnächst statt.«
    Jude hob beide Hände. »Erzähl mir nicht, dass du auch bei Softball eine Ninja bist.«
    Becka blies sich auf die Fingernägel und streifte sie am Rock ab. »Willst du es wirklich wissen? Ich spiele wie eine Verrückte. Kommst du auch? Macht bestimmt Spaß. Außerdem brauchen wir dich – wir können doch nicht gegen Field Six verlieren.«
    »Nein, das wäre eine Blamage«, antwortete Jude. »Wenn du mich nach Hause fährst, bin ich dabei.«
    »Super!« Ihr Lächeln war so echt, ihre Freude so rein, dass Jude Mühe hatte, sich nicht vorzubeugen und sie auf den Mund zu küssen. Er hätte es gern getan, aber irgendwas hielt ihn ab. Noch nicht, nicht hier, aber sie waren knapp davor. Auf einer unausgesprochenen Ebene hatte Becka es ihm noch nicht erlaubt.
    Unsicherheit kroch in Judes Gedanken.
    Vielleicht erlaubt sie es mir nie. Vielleicht stürzten sie kopfüber in einen Minenschacht der Enttäuschung mit dem Namen Seien wir doch einfach Freunde.
    Aah, alles, bloß das nicht.

13
    Pünktlich zu Lilys Geburtstag am 28. Juni kamen die Briefe, auch wenn ihre Zahl im Lauf der Jahre abgenommen hatte. Judes Mutter hängte die Beileids- und Gebetskarten an den Kühlschrank, doch zum Glück packte sie sie schon bald wieder weg. Jude hasste diese Karten, hasste es, dass alle von der »Tragödie« in seiner Familie wussten – der arme Jude, die arme Familie. Dabei kannte doch keiner von denen seine Gefühle, nicht die leiseste Ahnung hatten sie.
    Am schlimmsten war die Nachbarin Mrs. Buchman mit diesem bittersüßen Lächeln und ihrer immer gleichen Frage: »Wie geht’s dir, Jude? Alles in Ordnung?« Sie beobachtete ihn mit ihren Augen, und ihr Blick bohrte sich mit so viel Sorge und Mitleid in ihn, dass seine Haut brannte und er sich abwenden musste.
    Lily war eine Spielkameradin der Buchman-Mädchen gewesen und ständig auf dem Trampolin dort herumgehüpft. Sonst hatte sie Bilder gemalt, Radschlagen geübt und war Katzen nachgesaust, wie es kleine Mädchen eben machten. Oft hatte Lily gesagt, dass Zoe Buchman ihre beste Freundin auf der ganzen weiten Welt war. Manchmal begegnete Jude Zoe auf der Straße. Inzwischen war sie zehn und dürr wie eine Bohnenstange. Sie redeten nie, sprachen kein Wort, beobachteten sich nur wachsam aus dem Augenwinkel und dachten sich, was sie eben dachten. Jude, der ältere Junge, der einen traurigen Schatten warf. Zoe, das magere Mädchen, das einmal im Haus seiner Eltern gespielt und an frisch gebackenen Plätzchen geknabbert hatte. Jetzt waren sie Fremde.
    Jedes Jahr hinterließ Mrs. Buchman an Lilys Geburtstag einen Blumenkorb auf dem Absatz vor der Haustür. Blassgelbe Lilien natürlich mit einer kurzen, handschriftlichen Mitteilung. In diesem Jahr war es nicht anders. Als er auf dem Weg zu Corey hinauseilte, wäre er fast darüber gestolpert. »Verdammte Scheiße!«, knurrte er böse und trat nach den Blumen. Der Korb krachte gegen die Haustür, und die zarten Blütenblätter wurden auf dem Boden verstreut.
    Anscheinend hatte seine Mutter den Lärm gehört, denn sie kam zur Tür. Durch das Fenster starrten sie sich an; Jude stand da und zitterte in einer Wut, die er nicht benennen konnte. Seine Mutter kniff die Lippen zusammen und senkte den Blick auf den Wirrwarr aus Blumen. Klick. Sie wollte die Tür aufschieben, aber Jude drückte mit der Hand dagegen. »Nein. Bitte, Mom. Ich mach das schon.«
    Dann kniete er sich hin, um die Blumen nacheinander aufzusammeln und sie mühsam zurück in den Korb zu schichten. Er hob die Karte auf. Auf

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