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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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über Musik und tauschten die Namen von Lieblingsbands aus. Aus irgendeinem Grund fing Jude an, von Cure zu schwärmen, seiner Meinung nach »eine der unterschätztesten Gruppen aller Zeiten«.
    Becka war nicht überzeugt. »Ich weiß nicht, irgendwie sind die schon ziemlich alt.«
    »Oh-oh«, machte Jude. »Wenn dir der Song ›Pictures of You‹ nicht gefällt, können wir leider keine Freunde mehr sein.«
    »Na, dann kann man nichts machen, auch wenn’s schön war mit uns.« Becka wurde wieder ernst. »Schreibst du auch Songs?«
    »Nein.« Das stimmte nicht. Er hatte einige geschrieben, aber einer schlechter als der andere. Diese Stücke mussten begraben bleiben.
    »Wirklich? Das überrascht mich. Du wirkst so … in dir .«
    »Was meinst du damit?«
    Becka ließ sich Zeit und suchte die Worte sorgfältig aus wie Muscheln im Sand. »Bei dir ist es, wie wenn nicht alles an der Oberfläche wäre. Da ist noch was drunter.«
    Damit konnte Jude leben. Verborgene Tiefen . Geheimnisse.
    »Sing doch mal was«, bat Becka.
    Jude ließ die Finger über das Griffbrett gleiten, Fünftonleitern, die er schon millionenfach gespielt hatte. Dann schüttelte er den Kopf. »Ähm, nein. Ich kann nicht singen.«
    »Natürlich kannst du singen«, widersprach Becka. »Mach einfach den Mund auf. Jeder kann singen.«
    »Ich nicht.« Er legte die Gitarre weg und griff nach Brot und Käse. Dieses Picknick im Park war Beckas Idee gewesen, und sie hatte alles dafür Nötige mitgebracht: Decke, Brot, Käse, frische Erdbeeren.
    Sie nahm die Gitarre, schlug feste Akkorde an und sang mit hoher, klarer Stimme. Nun hatte Jude Grund zum Staunen. Sie war völlig natürlich, ganz sie selbst, selbstsicher wie eine Blume, die für die Sonne ihre Blüte öffnet.
    »Mein Freund Corey möchte dich kennenlernen«, sagte Jude in einer Songpause.
    »Ach ja?« Becka grinste. »Klingt nach einer großen Sache. Fast schon episch. Wenn ich Corey kennenlerne, ist das so ähnlich, wie wenn du mich deinen Eltern vorstellst?«
    »Ja, stimmt genau.« Jude blieb ernst. »Ich dachte, ich lade ihn zu dem Softballspiel am Mittwochabend ein.«
    Becka nickte und klimperte abwesend. »Kann er mit dem Schläger umgehen?«
    Jude zuckte die Achseln. »Corey ist einer von denen, die alles können, aber eigentlich steht er mehr auf Popkultur als auf Sport. Filme, Bücher, Musik. Er arbeitet in dem Fahrradgeschäft an der Wantagh Avenue, in der Nähe vom Bahnhof. Superintelligenter Typ.« Jude wusste selbst nicht genau, warum, aber ihm war wichtig, dass Becka Corey kannte und ihn mochte. Und sicher auch, dass Corey sie mochte. Wahrscheinlich blöd, doch er wollte, dass die Fäden zusammenkamen wie die Sterne im Großen Wagen. Jude, Becka, Corey, alles Freunde. Er hatte schon oft erlebt, dass sich ein Typ eine neue Freundin zulegte und plötzlich wie vom Erdboden verschluckt war. Vinnie zum Beispiel. Wenn er eine Neue hatte, verschwand er manchmal wochenlang wie ein abgetauchter Spion. Jude wollte nicht, dass es ihm mit Becka auch so ging; sie sollte einen Platz in seiner Welt finden, und diese Welt begann mit seinem besten Freund Corey.
    Becka drehte sich auf den Rücken und legte den Kopf in Judes Schoß. Den Blick nach oben gerichtet, bemerkte sie: »Der reinste Batikhimmel.«
    Jude lachte. Nur Becka konnte die Dinge so sehen. Er bewunderte, wie aufgeschlossen sie für die kleinen Wunder des Alltags war.
    Sie griff nach einer Erdbeere und hielt sie sich vor die Nase, um daran zu schnuppern. Das erinnerte Jude daran, wie sie am Tag ihrer ersten Begegnung an der Brezel geknabbert hatte. »Du isst wie ein Hase, weißt du das?«
    Becka schob die oberen Schneidezähne vor und zuckte mit der Nase. »Ich rieche immer an meinem Essen. Wahrscheinlich aus Gewohnheit. Hasengewohnheit. Findest du das komisch?«
    »Nein, ich mag Schlappohren«, antwortete Jude.
    »Leg dich neben mich«, forderte sie ihn auf. »Und lass die Hände ins Gras sinken.«
    Jude rutschte neben sie, zufrieden unter dem blauvioletten Batikhimmel und den ziehenden Wolken.
    »Ich denke mir die Erde immer als runden Ball, der sich einfach im Weltraum dreht«, sagte Becka. »Schließ die Augen. Kannst du es spüren?«
    Jude versuchte sich die große Krümmung der Erde vorzustellen, als würde er auf einem riesigen Ball fläzen. Es funktionierte nicht besonders gut, aber er mochte das Gefühl von Beckas Körper neben sich. Sie waren mitten auf einer Wiese, auf die sich vereinzelte Spaziergänger, Hundeausführer und

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