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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Preller
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Frisbeespieler verirrt hatten, doch nun wichen sie alle zurück, und Jude spürte nur noch den tiefen Frieden, der ihn mit diesem besonderen Mädchen verband.
    »Es ist ein Wunder, dass wir nicht wegfliegen.« Becka hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Die Erde dreht sich und dreht sich – da müssten wir doch einfach runterfallen.«
    »Schwerkraft«, bemerkte Jude.
    » Naturwissenschaft «, meinte Becka respektlos. »Denk lieber nicht so viel. Spürst du nicht in den Fingerspitzen, wie sich die Erde biegt?«
    Jude hörte die fernen Stimmen einer Familie, die über die Wiese schlenderte, und genoss die noch warme Luft vor dem Abend. Er wusste, was Becka von ihm erwartete, also sprach er es aus. »Ja, ich spüre es, irgendwie.«
    Dann fiel ihm etwas ein. Eine Geschichte. »Als meine Schwester Lily noch ganz klein war, hatte sie einen Haufen Stofftiere, weißt du. Und im Wohnzimmer an der Decke hing ein großer Ventilator. Ich war ungefähr fünf Jahre älter als sie, also bin ich immer auf diesen kleinen Tritthocker geklettert und hab alle ihre Stofftiere auf die Ventilatorflügel gesetzt.«
    »Um sie zu ärgern?«
    »Nein, sie hat es geliebt«, erwiderte Jude. »Wenn alles fertig war, bin ich runtergestiegen, und sie durfte den Schalter anknipsen.« Er lächelte leise, als er sich an das Bild erinnerte. »Zuerst haben sich die Flügel ganz langsam gedreht, doch dann immer schneller, und nacheinander sind die Stofftiere weggeflogen. Wir haben gewettet, welches am längsten oben bleibt. Lily hat so fest gelacht. Sie wollte, dass wir es immer wieder machen.«
    Becka sank ins Gras und genoss den wohligen Nachhall der Geschichte. »Lieb«, sagte sie.
    »Ja, ja, genau.« Jude nickte. »Daran hab ich schon ewig nicht mehr gedacht. Komisch, dass ich dir das erzähle.«
    Es wurde still, aber es war kein Schweigen, das gebrochen werden musste. Nicht peinlich und auch nicht unangenehm.
    Nach einer Weile redete wieder Becka. »Wenn mir alles zu kompliziert wird, wenn ich mich zu ernst nehme, versuche ich mich an dieses federleichte Gefühl zu erinnern. Als könnte ich mich einfach von der Erde lösen und davonschweben.«
    »Staubkörnchen auf einer wirbelnden Welt.« Ein rotierendes Geheimnis, das den Staub über den Batikhimmel trieb wie von den Flügeln eines Ventilators durch die Luft geschleuderte Stofftiere.
    »Wir sind nur winzige Teilchen in einem unendlichen Universum«, flüsterte Becka. »Wie Blumen in einem riesigen Garten.«
    Jude erinnerte sich an ein Gefühl, als er noch ein kleiner Junge gewesen war: Er hatte sich hinten im Garten gedreht und gedreht, bis er vor Schwindel auf den Boden stürzte. Berauscht vor Verwunderung. So hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Inzwischen war dieses Hinaufgleiten zum Himmel fast ganz verdrängt worden vom Hinabsinken zum dunklen Kern der Erde.
    »Kommst du dir dabei nicht unbedeutend vor?«, fragte er.
    »Überhaupt nicht.« Beckas Stimme war weich und sanft. »Ich komme mir gesegnet vor, Teil von einem unbegreiflichen Geheimnis.« Schweigend lagen sie nebeneinander. »Sind deine Augen noch geschlossen?«
    »Ja.«
    Er spürte, wie sie sich neben ihm auf den Ellbogen stützte. Dann lagen ihre Lippen auf seinem Mund, und sie küssten sich.
    »Danke, dass du mir verziehen hast«, sagte sie.
    Jude fand keinen Namen für dieses Gefühl: die Schnur eines Heliumballons, die durch seine Finger glitt, dieses Schweben Richtung Himmel. Er erkannte nur die Verwirrung und Aufregung eines kleinen Jungen, das Pochen und Tosen des Herzens. Küss mich immer wieder, bis sich alle Sterne am Himmel drängen wie verstreutes Salz auf einem schwarzen Fels. Er drückte sich gegen sie, das Herz auf den Lippen.
    Ist es das? , dachte er. Ist das Liebe?

18
    Das Softballspiel war für halb sieben ausgemacht und sollte mit Einbruch der Dunkelheit enden. Corey kam mit dem Bus und ging das kurze Stück hinüber zu den Softballplätzen westlich des Wasserturms zu Fuß. Er sah schlank und sehnig aus in seinen langen Shorts und dem lockeren Shirt ohne Ärmel.
    Jude schnupperte. »Hast du dir Aftershave draufgeklatscht, Mann, oder hast du ein Rosenblütenbad genommen?«
    Corey schüttelte nur mutlos den Kopf, ohne zu antworten. »Bist du sicher, dass sie mich mitspielen lassen?«
    »Ist doch bloß ein Spiel«, antwortete Jude. »Ehrlich, wer soll es dir denn verbieten?«
    Allmählich versammelten sich die Akteure. Einige kamen direkt von der Arbeit, andere fuhren mit dem Auto vor und

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