Bevor du gehst
schüttelte er den Kopf, ein Signal: Nicht.
Seine Augen fixierten ein fernes Anderswo der Fantasie, als beobachteten sie etwas, das nur in der Erinnerung existierte.
»Ich war in einem Lehnstuhl an einem Ende des Pools«, erklärte er. »Mir war heiß und langweilig, und ich war müde. Ich hatte so ein Videospiel und wollte unbedingt das nächste Level erreichen. Lily hatte diese Gummiente um, du weißt schon, diese Dinger, die um die Taille gehen.«
»Ja, ich weiß.« Becka brachte kaum mehr heraus als ein Wispern. Am liebsten hätte sie seinen Mund mit ihren Lippen verschlossen und ihn geküsst, um den Strom der Worte zu unterbrechen. Doch zugleich war ihr klar, was er von ihr brauchte. Also hörte sie zu.
»Es war so komisch, weil ich es erst gar nicht gemerkt habe. Ich hab nichts gehört. Und nicht gesehen, wie sie rausgerutscht ist.« Seine Stimme stockte bei der Erinnerung, gefangen wie ein Tier in einer Falle.
Er schluckte und atmete tief ein und aus, entschlossen, die Sache zu Ende zu bringen. »Aber ich kann es mir so gut ausmalen.« Wie ein Schlafwandler, der durch einen dunklen Gang tappt, hob er die Hand und ließ sie wieder sinken. Leer.
Sie griff danach und drückte. »Du musst nicht …«
»Ich will aber«, erwiderte er.
Und obwohl es Becka lieber gewesen wäre, wenn er nicht weitergeredet, wenn er geschwiegen hätte, sagte sie: »Schon gut, es ist okay, du kannst es mir erzählen.« Denn sie wusste, dass er musste, ebenso wie es für sie notwendig war, seiner Beichte zu lauschen. Er war der Mund, der ihr mit weichen Lippen schreckliche Wahrheiten ins Ohr flüsterte.
»Ich hab gesehen, wie die Ente im Pool treibt, Beck – sie war blau und gelb –, und es doch zuerst gar nicht registriert. Das Ding ist vorbeigeschwommen, eine leere aufblasbare Ente im Wasser, und ich hab einen Moment gebraucht, bis ich begriffen habe, dass Lily rausgerutscht war. Wie im Traum ist das Ding vorbeigezogen, und ich hab mir nichts dabei gedacht.«
Becka wartete stumm.
Schließlich kam er zum Ende. »Dann auf einmal war es wie ein Schlag. Lily. Ich bin aufgesprungen und hab das Wasser abgesucht. Dann hab ich sie auf dem Grund des Pools entdeckt.«
Jetzt war es heraus. Er hatte es gesagt. Es explodierten keine Raketen, und auch das Dach der Welt stürzte nicht über ihm ein. Noch immer blinkten die Sterne durch die Nacht, kleine Seelen in gelben Kleidern. Becka war hier, an seiner Seite.
Flackerndes Licht spiegelte sich auf seiner nassen Wange. Sie strich mit dem Daumen darüber und legte ihn an die Lippen. »Wenn du weinst«, sagte sie, »schmecke ich Salz.«
19
Corey und Jude flachsten ein bisschen herum. Sie hatten sich in der letzten Woche kaum gesehen. Jude war mit der Arbeit und mit Becka beschäftigt gewesen. Das eigentlich Sensationelle war jedoch, dass sich Corey praktisch zu zwei Dates mit Daphne getroffen hatte. Die Tage flogen nur so dahin; der Juli rollte mit der Hitze eines Glutofens heran. Das Leben war schön, schöner als je zuvor.
Corey war unten bei Jude im Keller, sie spielten, aßen irgendwelchen Müll, quatschten.
»Wo ist die Party gleich wieder?«, fragte Corey.
»Am Gilgo Beach«, erklärte Jude zum dritten Mal.
»Und bei wem?«
»Bist du jetzt meine Mutter?« Jude gackerte über seinen Witz.
»Sag schon, Jude.«
»Ivan Kozlov – er arbeitet in West End Two mit mir. Du hast ihn beim Softball kennengelernt.«
»So ein nervöser Typ mit ziemlich pflegeintensiven Gesichtshaaren? Ich glaube, der zupft sich die Augenbrauen.«
»Genau, das ist er«, bestätigte Jude. »Ivans Eltern sind geschieden, sein Vater hat angeblich dieses Wahnsinnshaus am Wasser, ein gutes Stück auf dem Ocean Parkway, schon in Suffolk County. Jedenfalls ist sein Vater übers Wochenende weg, und da hat sich Ivan überlegt, das Haus für einen Abend zu beschlagnahmen. Er sagt, er hat jeden eingeladen, den er kennt.«
»Berto auch?«
»Ja, wir treffen uns dort mit ihm.«
»Klingt gut.« Corey blätterte in ein paar Zeitschriften auf dem Tisch und entschied sich schließlich für den TV Guide.
Jude spähte auf die Uhr. Es war ausgemacht, dass Daphne und Becka sie in Daphnes Auto abholten. Wie sich herausgestellt hatte, war Daphne in mehr als einer Hinsicht ein echter Fang. Soweit Jude das mitbekommen hatte, trank, rauchte und fluchte sie nicht. Damit war sie die perfekte Fahrerin für einen Samstagabend. Doch trotz ihrer puppenhaften Schmollmundschönheit hatte sich gezeigt, dass Daphne total intelligent
Weitere Kostenlose Bücher