Bevor ich sterbe
nicht richtig?«, kreischt Zoey vom Rücksitz. »Du hörst dich an wie Enid Blyton! Alle sollen wissen, dass ich high bin, und ich will kein Scheißabendbrot!«
Wieder stemmt sie sich aus dem Fenster und wirft jedem Fremden draußen Kusshände zu. Sie sieht aus wie Rapunzel auf der Flucht, ihre Haare flattern im Wind. Doch dann tritt Adam fest auf die Bremse, und Zoey stößt sich den Kopf am Autodach.
»Mist!«, schreit sie. »Das hast du mit Absicht gemacht!«
Sie sackt auf dem Rücksitz in sich zusammen, reibt sich den Kopf und wimmert leise.
»Tut mir leid«, sagt Adam. »Wir brauchen Benzin.«
»Wichser«, schimpft sie.
Er steigt aus und geht hinten ums Auto zu den Zapfsäulen und Hähnen. Zoey scheint plötzlich eingeschlafen zu sein, hinten zusammengesackt am Daumen lutschend. Vielleicht hat sie eine Gehirnerschütterung.
»Alles in Ordnung?«, frage ich sie.
»Er ist scharf auf dich!«, faucht sie. »Er will mich loswerden,
damit er dich ganz für sich allein hat. Das darfst du nicht zulassen!«
»Ich glaub nicht, dass das stimmt.«
»Als ob dir so was auffallen würde!«
Sie steckt sich den Daumen wieder in den Mund und wendet den Kopf von mir ab. Ich lasse sie in Ruhe, steige aus dem Auto und gehe rüber, um mit dem Mann am Schalter zu reden. Er hat eine Narbe, die wie ein silbriger Fluss von seinen Haaren über die ganze Stirn bis zum Nasenrücken läuft, und sieht wie mein toter Onkel Bill aus.
Er beugt sich an seinem Tischchen vor. »Nummer?«, fragt er.
»Acht.«
Er guckt verwirrt. »Nein, acht kann nicht sein.«
»Na gut, dann nehme ich die drei.«
»Wo ist Ihr Auto?«
»Da drüben.«
»Der Jaguar?«
»Ich weiß nicht.«
»Sie wissen es nicht?«
»Ich weiß nicht, wie es heißt.«
»Lieber Gott!«
Die Glasscheibe zwischen uns gibt seinem Ärger nach und wölbt sich. Erstaunt und eingeschüchtert trete ich einen Schritt zurück.
»Ich glaube, er ist ein Zauberer«, verrate ich Adam, der sich von hinten nähert und mir die Hand auf die Schulter legt.
»Da hast du, glaube ich, recht«, flüstert er. »Am besten, du setzt dich wieder ins Auto.«
Später wache ich in einem Wald auf. Das Auto ist abgestellt, und Adam ist nicht da. Zoey schläft, wie ein Kind auf dem Rücksitz ausgebreitet. Das durch die Bäume einfallende Licht ist gespenstisch und fahl. Ich kann nicht erkennen, ob Tag oder
Nacht ist. Mir ist sehr friedvoll zumute, als ich die Tür öffne und aussteige.
Da sind viele Bäume, lauter verschiedene Sorten, sommerund immergrüne. Nach der Kälte zu schließen, müssen wir in Schottland sein.
Ich gehe ein wenig herum, berühre eine Baumrinde, begrüße die Blätter. Dann merke ich, dass ich hungrig bin, richtig heftig hungrig. Wenn sich ein Bär blicken lässt, werde ich ihn niederringen und ihm den Kopf abbeißen. Vielleicht sollte ich ein Lagerfeuer machen. Ich werde Fallen auslegen und Löcher buddeln, und das nächste Tier, das vorbeikommt, endet an einem Spieß. Ich werde mir eine Hütte aus Stöcken und Laub bauen und bis in alle Ewigkeit hier wohnen bleiben. Hier gibt es weder Mikrowellen noch Pestizide. Keine selbstleuchtenden Pyjamas oder Uhren, die im Dunkeln leuchten. Keine Fernseher, nichts aus Plastik. Kein Haarspray oder Tönungen oder Zigaretten. Die Chemiefabrik ist ganz weit weg. In diesem Wald bin ich in Sicherheit. Ich lache leise vor mich hin. Nicht zu fassen, dass ich da noch nicht selber drauf gekommen bin. Das ist das Geheimnis, das ich gesucht habe.
Dann sehe ich Adam. Er sieht kleiner und plötzlich so weit weg aus.
»Ich habe was entdeckt!«, rufe ich.
»Was machst du?« Seine Stimme ist winzig klein und vollkommen.
Ich antworte nicht, weil das sowieso klar ist und ich ihn nicht blamieren will. Aus welchem anderen Grund sollte ich wohl hier oben sein und Zweige, Blätter und all so was sammeln?
»Komm runter!«, ruft er.
Aber der Baum schlingt seine Arme um mich und fleht mich an, es sein zu lassen. Ich versuche, Adam das zu erklären, bin mir aber nicht sicher, ob er mich hört. Er zieht seine Jacke aus und macht sich ans Klettern.
»Du musst runterkommen!«, ruft er. Er sieht sehr fromm aus, wie er so durch die Äste hochkommt, immer höher, wie ein freundlicher Mönch, der gekommen ist, mich zu retten. »Dein Dad bringt mich um, wenn du dir irgendwas brichst. Bitte, Tessa, komm jetzt runter.«
Er ist nahe, von seinem Gesicht sehe ich nur noch das Licht hinter seinen Augen. Ich beuge mich runter, um die Kälte von ihm abzulecken.
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