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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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noch an ihn erinnern, als die Finsland Sparebank ihre Räume im Herrenhaus von Brandsvoll hatte, direkt an der Straße. Ich begleitete meinen Vater. Es ging einen langen Flur hinunter, und dann nach rechts. Oft hatte ich mein Sparschwein dabei, das zerschnitten werden musste, damit das Geld herauskam. Mich bedrückte es jedes Mal sehr, wenn das Schwein aufgeschnitten wurde. Alfred war der Filialleiter und zugleich der Kassierer der Finsland Sparebank und saß normalerweise ernst in einem Büro hinter dem Schalter, gleichsam abgeschnitten von seiner Umgebung. Er hatte nie etwas mit meinen bisschen Geld zu tun, sondern schien sich immer große und wichtige Gedanken zu machen. So sah es zumindest aus. Darum kann ich mich an ihn erinnern. Mit dem Postbeamten geht es mir genauso. Er hieß Rolf. Ich erinnere mich an ihn aus dem Postamt in Kilen, das nicht mehr existiert. Dort sortierte er die Briefe, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen. Ich erinnere mich auch, dass er mit dem Postauto kam, ausstieg und die Zeitungen und Briefe in die Kästen auf der alten Milchrampe verteilte, als würde er es nur dieses eine Mal tun und dann nie wieder.
    1978 war Alfred Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Sie mochten damals wohl insgesamt rund zwanzig Männer gewesen sein, und alle wohnten sie in wenigen Kilometern Entfernung von der Sirene, die auf einem Pfosten gleich neben der Feuerwehrstation von Skinnsnes saß. Man hätte auf der Karte nur die Spitze eines Zirkels in die Feuerwehrstation stecken und einen Kreis schlagen müssen. Niemand durfte weiter entfernt wohnen, sie mussten den Alarm hören können. Darüber hinaus gab es keine weiteren Anforderungen, um Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr zu werden. Doch, man musste ein eigenes Auto besitzen. Der Löschzug hatte nur Platz für zwei Personen.
    Die Feuerwache stand im geographischen Mittelpunkt der Gemeinde, nur wenige hundert Meter von dem großen Haus entfernt, in dem Alfred seine Familie gegründet hatte; etwas westlich vom Bethaus und dem alten ehemaligen Gemeinschaftshaus, das als Stall genutzt wurde. Der Name Feuerwache hatte sicher etwas Irreführendes, denn in Wahrheit handelte es sich lediglich um eine ziemlich große Garage aus Beton, die über ein Tor aus Metall verfügte, daneben eine Tür und eine Außenlampe. Das war alles. Hauptsache, der Brandmeister wohnte in der Nähe. Und der Brandmeister war Ingemann, der Ehemann von Alma. Ingemann wurde im Sommer 1978 vierundsechzig Jahre alt. Als Ergänzung zu seiner Arbeit als Brandmeister betrieb er eine eigene Werkstatt, die in einer Scheune auf dem Hof untergebracht war. In Finsland Brandmeister zu sein, war streng genommen eigentlich keine Arbeit. Es brannte ja nie. Ein paar Mal im Jahr mussten sie vielleicht ausrücken, in der Regel bei kleineren Waldbränden. Trotzdem hatte Ingemann eine eigene Uniform, die in der Werkstatt hing; er zog sie jedes Mal an, wenn Alarm geschlagen wurde, daher nannte man sie seinen Dienstrock . Ingemann und Alma hatten nur einen Sohn. Sie hatten ihn spät bekommen, Ingemann war bereits über vierzig Jahre alt gewesen. Dag wurde im Sommer 1957 geboren, er war ein Wunschkind. Dag, Ingemann und Alma. Alle drei befanden sie sich mitten in dem magischen Zirkel.
    Ich saß lange bei Else und Alfred.
    Sie waren so ruhig und entspannt, dass ich überhaupt nicht erklären musste, warum ich gekommen war, warum ich über die Brände schreiben wollte. Für sie lag es auf der Hand. Sie hatten meine früheren Bücher gelesen und trauten mir ganz einfach zu, dass ich auf eine richtige und würdige Art auch über die Brände schreiben könnte. Ich machte mir so gut wie keine Notizen. Ich war zu fasziniert. Denn auch sie sprachen leiser. Alle, die über die Brände sprachen, taten es. Sie senkten die Stimmen und erzählten langsam, zögernd, ganz genau. Mir wurde klar, dass sie in gewisser Hinsicht Angst hatten, mitverantwortlich zu sein.
    »Allmählich ist es ja auch lange her«, sagte Else, als würde sie mit einem Mal resignieren. »Über dreißig Jahre. Ein ganzes Menschenleben.« Dann zeigte sie plötzlich auf mich.
    »Ja, und du«, sagte sie. »Du warst ja gerade erst geboren.« Dann fügte sie mit einem seltsamen Glanz in den Augen hinzu: »Und schau dich jetzt an.«
    Alfred erzählte die ganze Geschichte. Er hatte die Zeit vor meiner Ankunft genutzt, um sich alles noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, und nun breitete er all seine Erinnerungen aus. Er sprach ruhig und sachlich, genau wie ein alter

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