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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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gelegentlich taucht es jedoch wieder au f – als wäre ich plötzlich beinahe hineingetreten. Ich bin kurz davor und habe das Gefühl, als würde mein Blick jeden Moment auf denjenigen fallen, der eigentlich vielleicht ich bin.
    Und dann.
    Nach einer Weile wird es zu kalt, um am Fenster zu sitzen. Ich habe schon die Heizung aufgedreht, aber es hilft nichts. Schließlich stehe ich auf und hole mir eine Jacke, packe mich gut ein. Vom Fenster kann ich bis zu der Stelle sehen, wo das Haus von Olav und Johanna stand; gleich neben dem alten Postamt lag das Haus, das sie in den letzten Monaten gemietet hatten, bevor sie krank wurden und ins Altersheim nach Nodeland kamen. Der Brand muss sich im Wasser gespiegelt haben. Was für ein Anblick muss das gewesen sein.
    Ich lese den Brief von Dag mehrmals, langsam, umständlich, als würde ich ihm näherkommen, wenn ich nur genau genug lese. Als würde das Geheimnisvolle um ihn in den Worten selbst liegen.
    Ich schreibe einen Satz in mein Notizbuch:
    Wer ist es, den wir sehen, wenn wir uns selbst betrachten?
    Das ist die Frage.
    Ich erinnere mich an ein Ereignis. Es muss passiert sein, als ich in die erste Klasse ging, ich muss also sieben oder acht Jahre alt gewesen sein. Ich stand vor der Klasse und erzählte eine Geschichte. Ich weiß nicht mehr, worum es bei dieser Geschichte ging, aber sie muss sehr spannend gewesen sein, denn sowohl ich wie auch alle anderen hörten fasziniert zu. Ich erinnere mich, dass ich dachte: Du musst jetzt aufhören, du darfst es nicht übertreiben, du darfst jetzt nicht weiterlügen, es wird zu viel, bald werden sie dir nicht mehr glauben, gleich durchschauen sie dich, gleich merken sie, dass du sie anlügst, gleich stehen sie alle auf, und dann stehst du allein da.
    Aber sie glaubten mir. Es funktionierte. Sie entlarvten mich nicht. Es war mucksmäuschenstill, bis die Geschichte zu Ende war, und auch noch ein paar Sekunden später. Dann kam es: Erzähl weiter!
    Doch das Wichtigste geschah danach. Als es klingelte und alle aus der Tür rannten, hielt mich unsere Lehrerin zurück. Es war Ruth, die ich so mochte. Sie ging vor mir in die Hocke, wobei sie mir eine Hand auf jede Schulter legte, als hätte ich mir das Gesicht gestoßen oder irgendetwas Schlimmes angestellt. Ich erinnere mich an ihr Gesicht, an die Augen, den Blick. Woher hast du diese Geschichte? , fragte sie. Sie schien besorgt zu sein, und um sie nicht noch mehr zu beunruhigen, zuckte ich die Achseln und schlug den Blick nieder. Ich wagte nicht, ihr zu sagen, dass ich sie erfunden hätte. Dass ich mir alles irgendwie ausgedacht hatte, dass es sich von Anfang bis Ende um eine Lüge handelte. Ich wollte mich aus ihrem Griff befreien, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie schaute mich weiterhin mit diesen besorgten Augen an, und ich schwor mir, nie wieder eine solche Geschichte zu erzählen. Zum ersten Mal hatte ich mich eines Vergehens schuldig gemacht. Ich, der immer so artig war, der immer das Richtige tat. Jetzt wusste ich nicht, was mich erwartete. Du bist ja ein Dichter , sagte Ruth und sah mich mit einem seltsamen Lächeln an. Ich werde es nie wieder tun , brachte ich stotternd heraus und spürte, wie sich eine diffuse Scham vom Bauch her ausbreitete, bis zur Brust und ins Gesicht. Dann ließ sie mich los, und ich rannte hinaus zu den anderen, aber ihre Worte habe ich nie vergessen, vor ihnen konnte man unmöglich davonlaufen. Ruth hatte sie in mich gepflanzt, und ganz langsam begannen sie zu wachsen. Ich war nicht wie die anderen. Ich war ein Dichter. Ich spürte, dass man es mir ansehen konnte. Dass es mir ins Gesicht geschrieben stand, in die Augen oder auf die Stirn. Ich hatte versprochen, nie wieder zu dichten, aber ich wollte doch bloß artig sein und das Richtige tun, und ich hoffte, dass sich mit der Zeit alles von allein regeln würde.

VII
    Als die Uhr kurz nach eins zeigte, zog Alma sich an und ging in die Küche. Dort setzte sie den Kessel auf den Ofen und wartete, bis das Wasser kochte. Als der Kaffee fertig war, nahm sie eine saubere Tasse aus dem Schrank und setzte sich auf Dags Platz am Küchentisch. Von dort konnte man über die Ebene nach Breivoll sehen. Sie spürte etwas Leichtes in sich, etwas vollkommen Gewichtsloses, das sich nie zur Ruhe legte, etwas, das ihr den Schlaf raubte. So ging es beinahe jede Nacht; sie lag neben Ingemann und starrte an die Decke. Sie hörte die Musik aus Dags Zimmer, und jedes Mal, wenn es leise wurde, spitzte sie die

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