Bevor ich verbrenne
es vorbei war.
»In Porsanger war es sicher auch kalt?«, sagte sie plötzlich.
»Minus vierzig«, antwortete er, ohne sie anzusehen. Sie erhob sich.
»Kannst du mir nicht ein bisschen davon erzählen, Dag«, bat sie, und sie spürte, wie ihr heiß wurde und sie errötete. »Du könntest doch wenigsten ein bisschen erzähle n … Papa und ich wissen doch so gut wie gar nichts.«
Dags Bewegungen wurden auf einmal ruhig, beinahe langsam.
»Was soll ich denn erzählen?«, fragte er.
»Was eigentlich passiert ist.«
Er sah sie lange an, dann schüttelte er beinahe unmerklich den Kopf.
»Was eigentlich passiert ist?«
»Ja«, sagte sie ruhig. »Was mit dir passiert ist.«
»Mit mir? Was meinst du?«
Sie ging auf ihn zu, und Dag stand wie angefroren auf dem Fußboden. Sie trat ganz nah an ihn heran, und nun merkte sie, dass er nach Rauch roch.
»Du bist s o … du wars t … kannst du nichts erzählen, Dag? Sei so lieb. Erzähl mir einfach alles.«
Sie standen in der Mitte der Küche, das Licht der Deckenlampe fiel auf sie und ließ seine Haare in einem fetten Schimmer glänzen. Sie blickte ihn flehend an, dann wandte sie den Blick ab, sie sah sein offenes Hemd, die Hände, die braune Cordhose, die Socken.
»Weinst du, Mama?«
Sie antwortete nicht. Sie stand ganz nahe bei ihm, mit geschlossenen Augen.
»Du willst, dass ich erzähle?«, fügte er ruhig hinzu.
»Ja, Dag, es würde mich glücklich machen.«
Sie hörte, wie er tief einatmete. Sie schluckte und spürte plötzlich den heftigen Schlag ihres Herzens. Sie blickte zu ihm auf, sein Gesicht zeigte jetzt wieder diesen starren Ausdruck, den sie das erste Mal in seinem Zimmer gesehen hatte. Eiskalt durchfuhr es sie.
»Dag«, flüsterte sie.
»Mama«, sagte er leise, mit belegter Stimme.
»Willst du nicht?«
»Es is t … Mam a … es is t …«
Er schüttelte nur schwach den Kopf.
»Komm, Dag«, unterbrach sie ihn. »Setzen wir uns ins Wohnzimmer.«
Sie ging voraus, er folgte ihr zögernd und blieb in der Tür stehen.
»Willst du nicht?«
»Mama, ic h …«
»Vielleicht möchtest du erst einmal etwas spielen?«, schlug sie plötzlich vor.
»Jetzt?«
»Wenn du leise spielst, ist es in Ordnung. Wir können uns hinterher unterhalten.«
Er sah sie lange an, dann lächelte er, dass ihr ganz warm wurde.
Das Klavier hatten sie seinetwegen gekauft. Nachdem er angefangen hatte, regelmäßig zu Teresa zum Unterricht zu gehen. Er musste ja die Möglichkeit haben, zu Hause zu üben. So war das. Ingemann hatte es bei einer Haushaltsauflösung erstanden und auf der Pritsche des kleinen Anhängers verzurrt, der eigentlich zum Feuerwehrwagen gehörte, dann hatten Dag und er es nach Hause gefahren. Mit Hilfe von Alfred und einigen anderen Nachbarn wurde es hineingetragen. Sie konnte sich so gut an diesen Tag erinnern. Es war der Tag, an dem das Klavier kam , hatten sie später immer gesagt, als wäre die Rede von einem kleinen Kind. Erst als sie es hineintrugen, wurde ihr klar, wie schwer das Klavier war, und als es schließlich an seinem Platz am Fenster stand, hatte sie laut erklärt, damit alle es hörten, dass dieses Klavier nie wieder an einen anderen Platz gestellt werden sollte.
Dag setzte sich auf den Klavierhocker, wobei er sie aufmerksam ansah.
»Was soll ich denn spielen?«
»Was du willst«, erwiderte sie. »Was auch immer.«
»Was auch immer?«
Wie ein Konzertpianist bog er die Finger nach hinten. Dann begann er. Sehr leise, so dass nur sie beide es hören konnten. Es war lange her, seit er zuletzt gespielt hatte; hin und wieder traf er ein wenig daneben, aber dennoch. Es kam allmählich zurück. Er spielte. Sie blieb einen Moment hinter ihm stehen, schaute auf seinen Rücken, den Nacken, den Hinterkopf und das Haar, das beinahe so lang war wie früher. Sie blickte auf zu der Postkarte, die noch immer bei den Pokalen stand, sie sah das Foto des Soldaten im Wachturm, sie sah die endlosen, schneebedeckten Weiten und die russische Grenze, die wie eine weiße Straße ohne Bäume an dem Turm vorbeilief und nach hinten im Unendlichen verschwand.
Als er geendet hatte, blieb er mit gesenktem Kopf sitzen und starrte auf die Tasten.
»Das war schön«, sagte sie leise.
»Willst du noch mehr hören?«
Sie nickte.
Dann spielte er Näher mein Gott zu dir , weil er wusste, dass sie am liebsten diesen Choral hören wollte. Sie setzte sich auf die Tischkante und schloss die Augen. Die Tränen begannen plötzlich zu fließen, sie konnte sie nicht
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