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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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Erde. Woher er kam, ließ sich nicht sagen. Ein Tier stand regungslos zwischen den Bäumen. Die Augen starrten geradeaus, in die Dunkelheit. In den Fenstern gab es noch Licht. Die Menschen begaben sich zur Ruhe, ließen die Lampen jedoch brennen, schlossen die Augen, falteten die Hände.
    Und dann?
    Irgendwo fuhr ein Auto. Kam es näher? Kam es auf dieser Straße? Nein. Es war weit entfernt. Dann wurde es still. Ganz still. Alles so, wie es sein sollte. Was passiert war, war passiert. Lasst uns vergessen. Nicht mehr daran denken. Jetzt bloß schlafen.

II
    Ich fand den Taufschein, er lag in einer Pappschachtel auf dem Dachboden, in einem braunen Umschlag zusammen mit einer Reihe anderer Papiere aus meiner Kindheit. Auf dem Dachboden stand außerdem die dunkelblaue Reisetasche, in der ich vor dem abgebrannten Hof von Olga Dynestøl allein im Auto lag. Ich ließ die Reisetasche stehen, nur die Pappschachtel mit den Papieren nahm ich mit. Nun saß ich da mit dem Umschlag, auf dem mein Name mit Maschine geschrieben stand. Mein Taufschein steckte darin, unterschrieben vom zuständigen Kaplan Trygve Omland, den Namen meiner Eltern und dem Datum, Sonntag, 4 . Juni 1978.
    Unter den übrigen Papieren fand sich ein kleines grünes Buch aus dem Winter, in dem ich Teresa besuchte, um Klavierspielen zu lernen. Ich erinnerte mich noch gut an das Buch, der Umschlag hatte ein Rautenmuster, auf dem Beurteilungen stand. Nach jeder Stunde notierte sie etwas, dann schloss sie es mit einem Knall und ich hatte das Buch mit nach Hause zu nehmen. Ich erinnere mich nicht, dass ich je gelesen hätte, was sie hineinschrieb, nur, dass ich es meinen Eltern zeigte. Eigentlich wurde jede Stunde mit einem gute Fortschritte beendet. Manchmal: muss mehr üben . Die letzten Stunden fanden 1988 kurz vor Weihnachten statt. Da hatte Teresa vermerkt: spielt fließend, aber etwas angestrengt . Es klingt, als hätte sie es ziemlich genau erfasst. Danach war Schluss. Es war der Herbst, in dem Großvater starb.
    Auf dem Dachboden fand ich auch Großmutters Tagebücher. Sie lagen neben der Reisetasche in einer durchsichtigen Plastikkiste, die mich an diese Wannen auf Flughäfen erinnerte, in die man all seine Wertsachen zu legen hat, Schlüssel, Brieftasche, Gürtel, Uhren, Jacken und Schuhe, bevor alles durch einen Kunststoffvorhang gleitet, um durchleuchtet zu werden. In den Tagebüchern hatte ich schon früher geblättert, ohne mir damals vorstellen zu können, dass sie mir irgendwann einmal von Nutzen sein könnten, jedenfalls nicht auf diese Weise. Aber es zeigte sich, dass Großmutter über die Brände geschrieben hatte; gleichzeitig handelten die Tagebücher natürlich von ihr und Großvater und von der Trauer, die sie schier in Stücke riss, als er starb.
    Sie redete oft über die Tagebücher. Ich erinnere mich noch an den letzten Abend, an dem ich bei ihr gewesen bin, ich erinnere mich, wie es in ihren Pupillen wie in einem Diamanten blinkte. Der Diamant hatte sich nach einer Staroperation eingestellt, aber ich glaube nicht, dass sie es selbst bemerkt hat. Vielleicht bekam jeder einen solchen Diamanten ins Auge, nachdem er operiert wurde? Vielleicht hatte er aber auch ihr ganzes Leben dort gesessen, und ich hatte ihn vor diesem letzten Abend nur nie gesehen?
    Ihr Tagebuch lag in der Küche, kann ich mich entsinnen, auf der Bank links vom Spülstein, teilweise verdeckt durch einen Haufen Rechnungen. Wenn sie auf Reisen ging oder in den Urlaub fuhr, hatte sie immer ihr Tagebuch dabei. Als sie mich in Oslo besuchte, kurz bevor Vater krank wurde, steckte es in ihrer Tasche, und nachdem wir zu Bett gegangen waren, hielt sie unseren Besuch in der Nationalgalerie und dem Historischen Museum, dem Munch-Museum und der Festung Akershus fest; und sie schrieb, dass der Herr Vater und mich beschützen möge. Normalerweise schrieb sie am Vormittag, nachdem sie den Tisch abgeräumt, den Abwasch erledigt und Holz im Ofen nachgelegt hatte; dann saß sie am Tisch und wartete, dass die Stunden und der Tag vergingen. Häufig nur ein paar kleine Bemerkungen über das Wetter, wer zu Besuch gekommen war, was sie serviert hatte, oder wohin sie verreist war, was sie gesehen und wer sie begleitet hatte. Hin und wieder notierte sie im Winter, wenn ein seltener Vogel sich auf das Vogelbrett setzte. Etwa folgendermaßen:
    Samstag, 5 . Februar 2003
    Ein kleiner Vogel, den ich noch nie gesehen habe. Er saß eine Weile zwischen den anderen. Im Laufe des Tages war er fort.
    Sie hatte

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