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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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mich erinnern kann, hatte ich dieses besondere Verhältnis zu Schnee: den Wunsch, dass es zu schneien beginnt, dass es in der Nacht anfängt, wenn ich schlafe, dass der Schnee sich über die Bäume legt, über das Haus, über den Wald, dass es bis tief in meine Träume hinein schneien soll, dass das Weiße alles bedeckt. Und wenn ich am Morgen erwache, soll die Welt neu sein.
    Schnee war einer meiner frühesten Eindrücke. Aber dann kam der Frühling. Und bald wurde es Sommer.
    Wer war ich?
    Laut Teresa habe ich ein wenig angestrengt gespielt. Aber versucht, die Finger über den Tasten ruhen zu lassen. Ich tat, was man mir sagte. Nie gab es Ärger mit mir. Ich war durch und durch ordentlich und gab niemals Widerworte. Ich erledigte die Hausaufgaben sorgfältig, war immer vorbereitet und stets pünktlich. Jeden Morgen bin ich um kurz vor acht mit dem Fahrrad zur Schule nach Lauvslandsmoen gefahren, obwohl die Fahrt lediglich vier Minuten dauerte und die Schule nicht vor halb neun anfing. Ich habe in der Dunkelheit gewartet, bis der Hausmeister Knut aufschloss, und sobald er es getan hatte, ging ich in den warmen Flur, legte meinen Ranzen in den Klassenraum und wartete geduldig, bis die anderen kamen und der Schultag endlich begann. Jeden Montag war ich bei den Chorproben im Bethaus von Brandsvoll. Dort sang ich im Kinderchor all die Lieder, die ich bis heute auswendig kann; ich stand dort, ohne jemanden zu schubsen, ohne die Mädchen an den Haaren zu ziehen und ohne den Text zu vergessen. Jeden zweiten Donnerstag ging ich in die Kindergruppe Hoffnung , saß in dem gleichen Saal des Bethauses und lernte etwas über das Verhängnis des Alkohols. Ich muss vielleicht acht oder neun Jahre alt gewesen sei, als ich zum ersten Mal hörte, dass man grün im Gesicht wird, wenn man Bier trinkt; und bereits damals wusste ich, dass ich niemals eine Flasche Bier annehmen würde, wenn ein großer, pickliger Bursche sie mir anböte (es war immer ein großer, pickliger Bursche); bereits damals lernte ich, dass es so etwas wie die Schattenseite des Lebens gab und Bier dorthin gehörte. Ich lernte, die Schattenseite des Lebens um jeden Preis zu meiden, wenn nicht, würde das Bier mich in den Griff bekommen, ich wäre dann geradezu gezwungen, es zu trinken. Ich wusste, dass ich mich mein ganzes Leben auf der Sonnenseite des Lebens zu halten hatte, ohne dass mir eigentlich klar war, wie das gehen sollte. Aber abgesehen davon hörte es sich für einen Neunjährigen ganz vernünftig an, zumal ich mich immer gern in der Sonne aufhielt.
    Ich wollte so sein wie die anderen und mich in keiner Weise von ihnen unterscheiden, daher war ich artig, darum machte ich die Hausaufgaben, darum strengte ich mich an. Es gab nur einen Haken: Ich saß oft zu Hause und las. Ich fing an, allein zur Bibliothek von Lauvslandsmoen zu fahren. Mit dem Wind in den Haaren durch die Kurven von Vollan hinunter auf die Ebene, vorbei am Haus von Aasta, über Stubekken, am Stubrokka vorbei und über den Finsåna-Bach. Den ganzen Weg rollte das Rad beinahe von allein, während der Heimweg mit der Tasche am Lenker umso schwerer fiel. Ich fing an, eine ganze Buchserie zu lesen, die Die Geschichte von hieß. Die Geschichte von Edvard Grieg. Die Geschichte von Madam Curie. Die Geschichte von Ludwig van Beethoven. Die Geschichte von Thomas Alva Edison. Es waren Bücher, in denen man verschwinden konnte. Ich las mit einem Eifer und einer Gier, die niemand verstand, vielleicht nicht einmal ich selbst. Es waren Bücher, die mich träumen ließen. Es waren Bücher, die langsam etwas mit mir anstellten, die in mir den Wunsch nach anderen Orten aufkeimen ließen. Etwas in mir begann fortzutreiben. Anfangs bemerkte es niemand, aber irgendetwas in mir hatte mich längst verlassen und trieb langsam davon. Gleichzeitig wollte aber auch etwas bleiben. Das Bekannte und Behütete, das Übersichtliche und Einfache, die Gegend, die ich tief in meinem Inneren so liebte. Ich fühlte mich so gebunden an diesen Ort, auch, weil Vater so an ihm hing. Oft blätterte er in dem großen dicken Buch, das Finslan d – Höfe und Familien hieß, ein Buch mit so vielen Namen, mit Jahreszahlen von Geburten, Hochzeiten und Todesfällen. Er zeigte mir, wie man Vätern und Söhnen folgen konnte, Vätern und Söhnen durch die Jahrhunderte, bis hin zu seinem Vater, bis zu ihm und bis zu mir, dem vorläufig Letzten in der Reihe. So war das. So vergingen die Jahre und ich wusste nicht, wer ich eigentlich bin,

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