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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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Vögel so gern.
    Sie war wirklich stolz auf diese Tagebücher, gleichzeitig waren sie aber streng geheim und auch ein wenig tabuisiert; ich zumindest ahnte nicht, was darin stand. Sie hatte einige Male erklärt, dass sie überlegen würde, alles zu verbrennen, und dass niemand, unter keinen Umständen, darin lesen sollte, jedenfalls nicht vor dem Tag ihres Todes.
    Und dieser Zeitpunkt ist ja nun gekommen.
    Das schreibt sie zum Tod ihrer Nachbarin Ester:
    Sonntag, 9 . Mai 1999
    Schnee. Ester ist im Krankenhaus, bewusstlos. Der Herr stehe uns allen bei.
    Donnerstag, 13 . Mai
    Christi Himmelfahrt. Sonne aber kalt. Ester starb um 15:0 0 Uhr. Ein schlimmer Tag.
    Freitag, 14 . Mai
    Sonne und kalt. Die Decke gestrichen. Der Hof ist leer und ruhig.
    Anderthalb Jahre zuvor, um halb vier in der Nacht, direkt nach Vaters Tod:
    15 . September 1998
    Inzwischen bekam er eine Morphiumspritze, sie schaffte ein wenig Linderung, aber er brauchte noch eine, damit es half. Er schlief ein und wachte nicht wieder auf. Als Letztes sagte er, nun gehe es ihm himmlisch.
    Nach einem Besuch des Bezirkspastors acht Jahre früher:
    11 . Mai 1990
    Kühler. Wolken. Besuch von Austad. Am Abend Regen.
    Zwei Jahre zuvor, als Großvater plötzlich vor dem Gemeinschaftshaus zusammengebrochen war:
    Donnerstag, 3 . November
    Wache abrupt auf, ist es wahr oder habe ich seinen Tod nur geträumt? Doch, es ist wahr, und es tut so weh, dass ich es als physischen Schmerz in der Brust spüre. Holskog kam heute, um das Begräbnis zu regeln. Alles soll so einfach wie möglich sein. Wurde gefragt, ob ich ihn sehen möchte, wenn er im Sarg liegt. Ich habe nein gesagt, ich will ihn als den flotten, jugendlichen Mann in Erinnerung behalten, den ich so mochte. Anna ist gekommen, alles ist wie in einem Nebel. Gewiss schien die Sonne, aber ich habe es nicht gesehen.
    Trauer.
    Freitag, 4 . November
    Hier waren so viele Leute, ich bin so müde. Gut, dass es Nacht wurde, diese wunderbaren Tabletten verschafften mir ein paar Stunden Schlaf. Kam eine Weile weg von all dem Grässlichen.
    Sonntag, 6 . November
    Ein furchtbarer Tag. Alles, was ich mir vorzuwerfen habe, all diese Versäumnisse belasten mich so, dass sie mich zu Boden zwingen werden. Der Abend kam mit ein wenig Schlaf wie ein Freund.
    Sie schrieb nie sehr viel in dem Jahr nach Großvaters Tod. Und das, was sie schrieb, kam gewissermaßen von allein, es musste heraus und ergoss sich über die Seiten. Alles schien unmöglich, nur das Schreiben fiel ihr leicht und hatte etwas Natürliches, so erhielt sie sich am Leben. Sie schrieb sich buchstäblich die Trauer vom Leib.
    Ich blätterte zurück zum März 1978. Zum 13.:
    Ein Junge. Er kam heute, kurz vor sechs. Alles verlief gut. Morgen fahren Kirsten und ich hin, um ihn uns anzusehen.
    Das war ich.
    Sie schreibt kurz über den Besuch am folgenden Tag, später wird das neugeborene Kind allerdings so gut wie nicht mehr erwähnt. Ich blätterte weiter zum April, dann zum Mai. Mai 1978 in Norwegen, der Monat, in dem das ganze Land von dem grauenhaften Mord an der einundsechzigjährigen Inger Johanne Apenes in Frederikstad erschüttert wurde, der erst zwanzig Jahre später, im April 2007, aufgeklärt werden konnte, als ein Mann plötzlich gestand. Der Monat, in dem Charlie Chaplins Sarg wieder auftauchte, nachdem er spurlos vom Friedhof von Corsier-Sur-Vevey in der Schweiz verschwunden war. Der Monat, in dem die 48 . Fußball-Weltmeisterschaft in Argentinien bevorstand. Und in Kristiansand der Domkantor Bjarne Sløgedal die jährlichen Kirchenfestspiele vorbereitete, die diesmal mit einem Konzert des englischen Baritonsängers Christopher Keyte eröffnet werden sollten, begleitet vom Motettenchor der Domkirche und dem Stadtorchester Kristiansand. Später, am 3 . Juni, sollte Ingrid Bjoner Pergolesis Stabat mater aufführen, und zum Abschluss war ein Konzert von Kjell Bækkelund und Harald Bratlie mit Bachs Kunst der Fuge vorgesehen.
    Es ist Mai und Frühling in Norwegen. Das Frühjahr ist spät gekommen, aber das Wetter bleibt schön, leicht bewölkt, Sonnenschein. Dann wird es wirklich warm. Das Laub entspringt den Knospen. Die Traktoren ziehen die Pflüge hinter sich, ganze Wellen von Erde werden aufgewühlt. Das Land wird grün, die Kühe kommen auf die Weiden, die Schwalben fliegen hoch, der Sommer naht.

III
    Was für ein Junge war da zur Welt gekommen?
    Als ich, nur wenige Tage alt, nach Hause kam, lag die ganze Gegend unter einem Teppich aus Schnee, und solange ich

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