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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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ihn. Neun Jahre waren wir zusammen zur Schule gegangen, wir waren zusammen in der Kindergruppe Hoffnung gewesen, hatten zusammen im Kinderchor gesungen und waren zusammen konfirmiert worden. Und nun stand ich dort und wusch seinen mageren weißen Körper, während ihm der Rotz vom Gesicht über den Hals, die Brust und den Bauch bis in den Schritt lief. Ich weiß nicht, ob er sich an diese Nacht erinnert, vermutlich nicht, aber ich hatte dennoch das Gefühl, als würde irgendetwas in ihm registrieren, was hier geschah. Dass jemand hereingekommen war, ihn ausgezogen und in die Badewanne gesetzt hatte, dass jemand über ihm stand und ihn wusch, und dass dieser jemand ich gewesen bin. Ich erinnere mich an diese Nacht und diese Szene im Bad, weil ich in diesem Moment wusste, dass alles vorbei war. Ich wusste, dass ich fort von all dem musste. Fort von all dem Dreckigen und Elenden, fort von dem Bier, dem Schnaps und dem Selbstgebrannten, fort aus der Gegend, fort von dem Einfachen und Übersichtlichen, fort von den Wäldern und all dem, was ich tief in meinem Inneren so liebte. Ich war neunzehn Jahre alt. Im August zog ich nach Oslo und begann zu studieren, und ich wusste, dass ich nie wieder zurückkommen konnte.

IV
    Den ganzen Mai 1978 notiert Großmutter im Wesentlichen kurze alltägliche Bemerkungen über das Wetter, das trockene Frühjahr, über ihre und Großvaters Verrichtungen, wer zu Besuch kam und was sie angeboten hatte. Nichts über den Waldbrand am 6 . Mai und auch nichts über die Scheune von Tønnes. Eine kurze Notiz am 17 . Mai. Über den Gottesdienst. Omlands Predigt, den Umzug und das Fest am Abend im Herrenhaus von Brandsvoll.
    Nach dem Brand in Hæråsen am 20 . Mai war es tatsächlich ruhig geblieben. Dreizehn Tage keine weiteren Brände. Keine verdächtigen Personen oder fremde Autos auf den Straßen. Als wäre es plötzlich vorbei. Der Sommer kam mit langen, schläfrigen Sonnentagen. Der Flieder blühte, und der süße Duft hing schwer über den Gärten, wenn man abends noch einmal hinausging.
    Vielleicht war alles doch nur ein Traum gewesen?
    Weder Großmutter noch Teresa notierten irgendetwas Besonderes in den kommenden Tagen. Teresa unterrichtete die letzten Schüler vor den Sommerferien. Großmutter und Großvater badeten am Abend des 27 . Mai zum ersten Mal im Homevannet, bei achtzehn Grad Wassertemperatur. Mama unternahm langsame Spaziergänge mit dem Kinderwagen, gewöhnlich nach Lauvslandsmoen, am Haus von Aasta vorbei und zurück. Auf dem Weg schlief ich immer.
    Am 1 . Juni begann die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien mit der Eröffnungszeremonie im River Plate Stadion von Buenos Aires. Es folgte das Eröffnungsspiel zwischen Polen und Westdeutschland.
    Noch immer redeten die Leute über die drei Brände, doch in einem etwas anderen Ton. Sicherlich gäbe es eine Erklärung, hieß es. Eine Zigarette zum Beispiel. Wer hatte nicht schon mal eine brennende Zigarette aus dem Autofenster geworfen? Wer war nicht schon mal unaufmerksam gewesen und hatte sich vergessen? Hatte aus Versehen eine Kippe aus dem Fenster geschnipst. Und war weitergefahren. Und das bei der Trockenheit. Das war die Erklärung. Unbedachtsamkeit. Zufälle. Selbstverständlich. Alle Brände waren doch gleich neben der Straße ausgebrochen.
    Langsam kam die Gemeinde zur Ruhe.

V
    Dag bekam endlich eine Arbeit, als Brandwache am Flughafen von Kjevik. Ein paar Tage nach dem letzten Brand. Es war beinahe zu schön, um wahr zu sein. Endlich hatte er eine Aufgabe. Die Freude wurde nur dadurch getrübt, dass er nachts arbeiten und am Tag schlafen musste. Er brach gegen sechs Uhr abends von zu Hause auf und fuhr eine knappe Stunde bis zum Flughafen. Zuvor hatte er mehrere Abende eine Schulung besucht. Mehr nicht. Er konnte ja bereits so gut wie alles. Wirklich neu war lediglich eine Einführung in akute Erste Hilfe-Maßnahmen und lebensrettenden Einsatz. Da hatte er genau aufgepasst.
    Als er sich um den Job bewarb, legte er ein Empfehlungsschreiben von Ingemann vor. Darin stand, er sei im Grunde in einem Feuerwehrwagen aufgewachsen, habe an mehreren Einsätzen teilgenommen und habe seinen Vater, den Brandmeister, an fahrerischem Können bereits überflügelt. Sein Sohn habe alle Qualifikationen, die dazu gehörten, und er könne ihn unbedingt empfehlen.
    Einige Tage später wurde er eingestellt.
    Alma war sehr erleichtert. Ein ganzes Jahr war er zu Hause gewesen, ohne irgendeine feste Tätigkeit. Nun hatte er endlich eine

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