Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
mit seiner Chefin.
Er war losgeschickt worden, um die Spuren eines Waffenhandels zu beseitigen, der Dänemarks internationales Ansehen beschädigt hätte. Das war nicht weiter außergewöhnlich. Und auch wenn er das ganze Ausmaß nicht von Anfang an gekannt hatte, hätte dieses Wissen dennoch keinen Unterschied bedeutet. Aber es war etwas ganz anderes, dass er in Wirklichkeit nur hinter einer einzigen Person hatte aufräumen sollen, die um alles in der Welt verhindern wollte, dass die Wahrheit über ihr eigenes Engagement ans Licht kam. Eine Person, die nicht auf dieselbe Weise arbeitete wie Warwick, wenn er Beweise manipulierte und vernichtete, sondern die Menschen aus dem Weg räumte.
Genau aus diesem Grund, nämlich dem Talent des Nachrichtendienstes, die eigenen Spuren zu verwischen, hatte er seinerzeit beim MI 6 aufgehört. Er hatte die Nase voll von dieser ganzen Agentenwelt. Nicht so sehr, weil sie so lichtscheu und geheimnistuerisch war, was mit dieser Form der Arbeit zwangsläufig einherging, sondern weil die Hierarchien und Klassenunterschiede aus dem Internat hier weitergeführt und von allen in der Vauxhall Cross gelebt wurden. Es hatte Prestige, zur Elite des MI 6 zu gehören, wo alle davon überzeugt waren, den Normalsterblichen weit überlegen zu sein. Der Zweifel hatte schon lange an ihm genagt, aber der endgültige Auslöser dafür war Tabishs Tod gewesen. Warwick und Tabish waren in derselben Zeit rekrutiert worden und gemeinsam in Trainingslagern und bei Auslandseinsätzen gewesen. Tabish war jedoch im Frühjahr 1996 in Tschetschenien getötet worden – offiziell von nationalistischen Terroristen. Aber Warwick wusste genau, dass der eigentliche Grund ein inkompetenter Führungsoffizier gewesen war, den die ganze Bruderschaft von Senioroffizieren im MI 6 deckte. Tabish war im Dienst gestorben, und zwar wegen eines Dienstfehlers der anderen, und der Dienst sollte auch dafür sorgen, das alles zu vertuschen.
Anschließend hatte Warwick sein Leben radikal geändert. Er war als Doktorand zurück nach Dänemark gegangen und hatte an der Kopenhagener Universität über die Rolle der dänischen Nachrichtendienste während des Kalten Krieges promoviert. Eigentlich war er auf das postkoloniale Afrika spezialisiert, aber diesmal hatte er nicht ohne kathartischen Effekt die grundgesetzwidrigen Aktionen analysiert, in die der PET und der Abschirmdienst verwickelt gewesen waren. Das reichte vom Skandal um den privaten Nachrichtendienst Firmaet über den Lauschangriff auf linke Studenten in der Kejsergade bis hin zu unzähligen anderen illegalen Datenspeicherungen und Abhöraktionen. Die Rechtfertigung dahinter war immer dieselbe: Ihre Handlungen hätten dazu beigetragen, dass sich der Kalte Krieg nicht zu einem richtigen Krieg entwickelt hatte. Das war jedoch nichts anderes als die heuchlerische Form einer hypothetischen Argumentation, mit der sich alle Geheimdienste verteidigten. Mit anderen Worten; Warwick war nicht gerade positiv eingestellt, als im Jahr 2001 , als die Bilder vom 11 . September noch jeden Tag in den Nachrichten zu sehen waren, auf einmal zwei Männer vom Abschirmdienst in seinem Büro am damaligen Institut für Geschichte in der Njalsgade aufgetaucht waren.
Trotzdem hatte er lange überlegt, ob er das Angebot annehmen sollte. Ihm war bewusst geworden, dass er einen sehr guten Grund hatte, zuzusagen. Denn wenn er die Vorgehensweise der Geheimdienste so sehr verabscheute, gab es eigentlich keine bessere Gelegenheit, um etwas daran zu ändern. Denn wenn er etwas daran ändern wollte, musste er selbst ein Teil des Ganzen sein. Und bis jetzt hatte er keinen Grund dazu gehabt, seine damalige Entscheidung zu bereuen.
»In Moutarde geschwenktes Filet vom Himmerland-Rind an Perlzwiebeln mit jungen Kartoffeln. Darf ich Ihnen noch ein Bier bringen?«
Der Kellner stellte den Teller vor ihm ab, und Warwick nickte.
»Das ist eine gute Idee.«
Er wusste nicht, was er davon halten sollte, dass er selbst in die Ermittlungen der Polizei hineingezogen worden war. Und wie es überhaupt dazu gekommen war, dass man der Kripo die Überwachungsfotos zugespielt hatte. Ihn plagte der Gedanke, dass es seine eigene Chefin gewesen sein könnte, die ihn zum Sündenbock in einer Sache machen wollte, weil sie ihr zu entgleiten drohte. Aber das war nun doch ein absurder, viel zu paranoider Gedanke. So war es schließlich zu dem geheimen Treffen und dem etwas zweideutigen Begriff des »loyalen Verräters«
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