Bewahre meinen Traum
kennengelernt und wusste nicht, was sie zu erwarten hatte. Also hatte sie sich für ein knielanges, beigefarbenes Kleid und flache Pumps entschieden. Einer Frau, die Pumps trug, konnte man nicht vorwerfen, ein Hippie zu sein. „Kann ich so gehen?“, fragte sie ihren Vater.
Er schenkte ihr das breite Lächeln, das in den vergangenen dreißig Jahren die Herzen aller Schüler der Avalon High im Sturm erobert hatte. „Du siehst toll aus. Ich könnte nicht stolzer auf dich sein.“
„Ich habe lange darauf gewartet, das von dir zu hören, Pop.“
„Was, dass ich stolz auf dich bin? Machst du Witze? Ich bin auf alle meine Kinder stolz. Vor allem auf dich. Auf dich und auf Sonnet. Vielleicht sage ich es dir nicht jeden Tag, aber jetzt hörst du es. Ich bin stolz. Schon immer gewesen.“
„Danke. Ich bin ein wenig nervös wegen des Treffens. Die Stadt geht damit eine große Verpflichtung ein. Und ein großes Risiko.“
„Seit wann hast du Angst vor Risiken und Verpflichtungen?“, fragte er.
„Seit ich die Verantwortung für eine ganze Stadt trage.“
Denn das war der Ruf, den sie hatte. Nina, die Macherin. Nina, die Zuverlässige. Nina, der kleine Motor, der alles schaffte. Niemand kannte die andere Nina, die manchmal mitten in der Nacht aufwachte, weil ihr Herz sich nach etwas sehnte, was sie nie gehabt hatte.
Gemeinsam verließen sie das Rathaus und stiegen in das Auto ihres Vaters. Den silbernen Prius Hybrid hatte er gekauft, als die Zwillinge ausgezogen waren, um aufs College zu gehen. „Mein Leeres-Nest-Mobil“, erklärte er Nina, als sie den Gurt anlegte. „Mann, ich konnte es kaum erwarten, ein Auto zu fahren, das nicht aussah wie ein Airportshuttle.“
„Und wie gefällt er dir jetzt?“, wollte sie wissen.
„Das ist ganz drollig. Der Wagen gefällt mir ganz gut, aber das mit dem leeren Nest ist nicht so toll, wie man immer denkt. Ich vermisse mein verrücktes, lautes Haus voller Kinder.“
Sie nickte. Jetzt, wo Sonnet nur so durch die Highschool sauste und einige Klassen übersprang, um früher ihren Abschluss zu machen, konnte Nina mit ihm mitfühlen. Sosehr sie sich nach einer neuen Phase in ihrem Leben sehnte, wenn Sonnet ausgezogen war, richtete sie sich doch auch darauf ein, eine Einsamkeit zu empfinden, die sie nie zuvor verspürt hatte.
Das Treffen fand im Apple Tree Inn statt, dem B&B mit angeschlossenem Restaurant, das direkt am Fluss in der Nähe der alten überdachten Holzbrücke lag, die wiederum eines der meistfotografierten Wahrzeichen der Stadt war. Mr Carminucci wohnte für die Zeit seines Besuches im Apple Tree Inn. Nina wünschte, sie könnte Besuchern das Inn am Willow Lake empfehlen, aber so gerne sie dieses Hotel auch hatte, es hatte ehrlich gesagt schon bessere Tage gesehen.
„Ich freue mich auf den Termin“, sagte ihr Vater. „Ich habe Dino nicht mehr gesehen, seit wir zusammen auf dem College waren.“ Nina hatte lernen müssen, dass Deals wie dieser so funktionieren. Es war alles eine Frage von Verbindungen und vergangenen Beziehungen.
„Weißt du“, sagte sie, „als ich den Bürgermeisterposten übernahm, hatte ich all diese großen Pläne und Ziele für die Stadt. Ich hatte keine Ahnung, wie schwer es ist, irgendwas erledigt zu kriegen, und sei es eine noch so kleine Sache. Ich dachte immer, wenn ich meine Chance erhalte, fallen alle Puzzleteile an ihren Platz. Ich war entschlossen, Avalon zur besten Kleinstadt des Ulster County zu machen. Ach, was sage ich, des ganzen Staates. Aber was wenn mein einziges Vermächtnis als Bürgermeisterin darin besteht, dass ich ein Baseballteam in die Stadt geholt habe?“
„Machst du Witze?“ Ihr Vater schaute sie unter erhobenen Augenbrauen an. „Das wäre riesig, und das weißt du. Wenn du das hier hinbekommst, werden die Leute sich immer an dich erinnern als die Bürgermeisterin, die ihre Stadt zu einer Baseballstadt gemacht hat.“ Sie waren vor dem Apple Tree Inn angekommen, und er hielt ihr die Tür auf. „Denk dran, egal, was passiert, ich meinte das, was ich vorhin gesagt habe. Ich könnte nicht stolzer auf dich sein.“
Als sie in den wunderschönen – aber übermäßig dekorierten – Salon des Apple Tree Inn traten, verspürte Nina einen kleinen Stich des Bedauerns.
Das musste sich auf ihrem Gesicht abgezeichnet haben, denn ihr Vater fragte sofort: „Was ist los?“
Er kannte sie gut. „Ich mag es, Bürgermeisterin zu sein“, sagte sie. „Ich liebe diese Stadt und es macht mir nichts aus, hart für
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