Bewahre meinen Traum
sagen, dass es ihm gut geht, was totaler Quatsch ist. Oder gewesen wäre. Bevor du gekommen bist, habe ich mir echt Sorgen um meinen Dad gemacht.“
„Was meinst du mit ‚gekommen bist‘?“, hakte Nina nach. „Ich bin schon mein ganzes Leben lang hier.“
„Ich meine, jetzt wo ich meinen Dad mit dir sehe, mache ich mir das erste Mal seit langer, langer Zeit keine Sorgen mehr.“
Mit dir. Nina errötete und fragte sich, wie viel Daisy wusste. Sie entschied sich, sich dumm zu stellen.
„Daisy, ich will hier keinen falschen Eindruck erwecken. Ich arbeite für deinen Dad. Das muss nicht unbedingt für immer so sein.“
„Na ja, noch nicht“, sagte Daisy mit fröhlicher Zuversicht. „Es ist schön, ihn so glücklich zu sehen. Das ist gut für uns alle.“ Daisy starrte in die Flamme der Zitronenkerze, die fröhlich auf dem Tisch flackerte und die Mücken abhalten sollte. „Ich will nicht, dass mein Leben hier stattfindet.“ Sie flüsterte die Worte beinahe. „Ich will … etwas anderes für mich und das Baby, und das finde ich nicht hier. Ich will schon seit so langer Zeit fort von hier, alleine leben, aber ich habe mir immer Sorgen um Dad gemacht. Ich weiß, dass es ihm überhaupt nicht gefallen würde, wenn er es wüsste, aber ich kann nicht anders. Da ist dieses Gefühl, gefangen zu sein … ich wache nachts auf und kann nicht atmen. Ich fühle mich erstickt. Aber wenn ich ihn mit dir zusammen sehe …“
„Daisy, triff keine Entscheidungen auf Basis möglicher Gefühle deines Dads oder anderer Leute. Das Einzige, was für dich wichtig ist, sind das Baby und du. Ehrlich, du kannst dein Leben nicht für andere Menschen leben. Damit wirst du nur unglücklich.“
„Das habe ich den ganzen Sommer über getan. Aber jetzt tue ich es nicht mehr. Aber danke, dass du mich daran erinnert hast, dass ich mein eigenes Leben finden muss.“
„Ich habe dich nicht …“
„Ich gehe jetzt besser.“ Daisy gähnte und streckte sich. „Morgen ist ein großer Tag.“
Nachdem sie gegangen war, deckte Nina Sonnet mit einer leichten Decke zu. Dann stand sie ruhelos an der Brüstung der Terrasse und schaute auf den See hinaus. Sie sah die Spiegelung des Mondes, vor dem Wolken dahinzogen, auf dem Wasser. Wenn ich ihn mit dir zusammen sehe … Was Daisy nicht verstand, war, dass Nina mit niemandem eine dauerhafte Verbindung eingehen wollte. Oder? Sie sollte es zumindest nicht wollen. Sie sollte jetzt vor allem sich selber finden. Ihren Träumen folgen. Herausfinden, wer sie war, jetzt, wo Sonnet aufs College ging. Am Anfang des Sommers hatte sie genau gewusst, was sie wollte – das Inn und ein neues Gefühl der Freiheit. Jetzt hatte sie weder noch, aber ihr Leben fühlte sich so viel reicher an, als sie es sich je erträumt hatte.
Es gab nur ein Problem. Und sie ertrug es kaum, es vor sich selber zuzugeben. Das Problem war, dass jedes Mal, wenn sie über die Zukunft nachdachte, Bilder von Greg Bellamy ihren Kopf überfluteten – und ihr Herz. Sie hatte den ganzen Sommer damit verbracht, sich Gründe zu überlegen, wieso er nicht richtig für sie war, und hatte dabei das einzig Wichtige übersehen.
Es war schockierend, wie schnell sie sich daran gewöhnt hatte, ihn in ihrem Leben zu haben. Wie sehr sie es genoss, abends darauf zu warten, dass er zu ihr kam. Jetzt vermisste sie ihn so sehr, dass sie zitterte. Sogar nun, wo ihre Tochter zu Hause war, vermisste sie seine Umarmung, sein Lachen, seinen Geruch und den Geschmack seiner Küsse. Sie vermisste einfach alles an ihm.
Und das Schreckliche war, sie hatte ihm nie gesagt, was er ihr bedeutete. Wovor hatte sie solche Angst? Worauf wartete sie? Die Uhr hinter ihr schlug Mitternacht. Sie sollte jetzt besser auch ins Bett gehen.
Morgen wäre der perfekte Tag, es ihm zu sagen. Immerhin ging sie morgen auf eine Hochzeit.
Am Tag von Connor und Olivias Hochzeit zog Greg sich in einer der ehemaligen Schlafbaracken des Camp Kioga um. Einst Kulisse für kindliche Streiche, nächtliche Fressorgien und Geistergeschichten, fungierte sie nun als Umkleideraum für die an der Hochzeit Beteiligten. Greg sah, dass Max mit seinem Smoking kämpfte, und ging rüber, um ihm zu helfen.
„Was soll das überhaupt mit diesen komischen Knöpfen?“ Max schaute grimmig auf sein frisch gestärktes weißes Hemd.
„Sie sind einfach schick“, sagte Greg. „Hey, Dad, Max braucht Hilfe mit seinen Hemdknöpfen.“
Charles Bellamy sah wie immer makellos aus – schlank, mit silberfarbenen
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