Bewahre meinen Traum
wollte hören „Ich vergebe dir“, aber das hatte Ma nicht gesagt. „Wir kriegen das schon hin“, klang schwierig und schmerzhaft.
Wenn man auf der Highschool war und ein Baby erwartete, war das auch so ziemlich alles, was man erwarten konnte – dass es schwierig und schmerzhaft war.
„Woher wusstest du es, Ma?“ Nina musste das einfach fragen. Sie war doch so vorsichtig gewesen.
„Man kann eine Schwangerschaft nicht vor jemandem verheimlichen, der selber zehn Mal schwanger gewesen ist.“
„Zehn Mal?“
„Sieben normale Schwangerschaften, einmal Zwillinge plus zwei Fehlgeburten.“
„Von den Fehlgeburten habe ich gar nichts gewusst.“ So viel Glück sollte ich auch haben, dachte Nina und fühlte sich sofort schuldig. Es war vermutlich eine Sünde, auf so etwas zu hoffen.
„Es hat keinen Sinn, Dingen nachzuweinen, die nie sein werden.“
„Weiß Pop es? Mit mir, meine ich.“
„Noch nicht.“
„Ma, ich habe solche Angst, es ihm zu sagen. Ich hatte Angst, es euch beiden zu sagen, und deshalb habe ich nichts gesagt.“
„Nina, wir sind keine Monster.“
„Ich weiß. Es ist nur … was mir Angst gemacht hat, war, euch zu enttäuschen.“
„Liebling, du musst keine Angst haben. Und mach dir keine Sorgen über deinen Dad.“
„Werde ich fortgehen müssen?“, fragte Nina.
Ihre Mutter schaute sie kurz an. „Wie kommst du denn auf die Idee?“
„Ich habe so etwas in einem Kirchenmagazin gelesen.“
Ihre Mutter schaute wieder auf die Straße. „Heutzutage müssen Mädchen in deiner Position nicht mehr weggehen. Sie gehen stattdessen in Fernsehtalkshows.“
Nina wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie konnte nicht erkennen, ob die Bemerkung sarkastisch gemeint war oder nicht. Wieder fuhren sie eine Weile schweigend. Die überwältigende Schönheit der Herbstfarben vor dem blauen Himmel war irgendwie schmerzlich. Sie wusste nicht, warum, aber bei dem Anblick stiegen ihr Tränen in die Augen. Nina hielt den Blick fest aus dem Fenster gerichtet, bis sie an der Arztpraxis ankamen, einer weißen, im viktorianischen Stil erbauten Villa, die zu Büroräumen umfunktioniert worden war. Ihre Mutter parkte den Wagen, machte aber keine Anstalten, auszusteigen.
„Bist du gezwungen worden?“ Die Frage kam aus dem Nichts und war rau vor Schmerz.
Erst verstand Nina nicht, was ihre Mutter meinte. Dann dämmerte es ihr, und sie hätte am liebsten gleich wieder angefangen zu weinen. Bis zu diesem Augenblick war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, wie sehr das alles ihrer Mutter wehtat. Vermutlich litt Ma schon seit Tagen und fragte sich, ob irgendein Kerl ihre Tochter vergewaltigt hatte.
Aber anstatt in Tränen auszubrechen, stieß Nina ein kurzes, freudloses Lachen aus. „Nein, Ma, ich bin nicht gezwungen worden. Ich versichere dir, ich war eine willige Teilnehmerin. Ich schwöre bei Gott.“ Aus irgendeinem Grund hatte die Frage ihrer Mutter die ganze Situation mit einem Mal sehr real für sie gemacht. Sie würde ein Baby bekommen. Ein echtes, lebendiges Baby. Eine Sekunde lang verspürte sie so etwas wie Stolz. Nachdem sie ihr ganzes Leben lang in allem immer nur mittelmäßig gewesen war, würde sie jetzt mal die Erste bei etwas sein. Doch das Gefühl wurde schnell von einer eisigen, seelenerschütternden Panik verdrängt. Ein Baby. Was in aller Welt sollte sie mit einem Baby?
Ma streckte die Hände am Lenkrad und stieß einen sichtbaren Seufzer aus. „Dann … hast du es dem Jungen schon gesagt?“
Dem Jungen. Laurence Jeffries. Sie hatte seit dem Abend nicht mehr mit ihm gesprochen, und sie nahm an, dass er sie nie wiedersehen wollte. Warum auch, nachdem Greg Bellamy und sein loses Mundwerk ihr wahres Alter verraten hatten? Und ehrlich gesagt konnte Nina Laurence keinen Vorwurf machen. Wenn man Legal Eagle, einer Radioshow, in der Leute anonym Fragen stellen konnten, glaubte, hätte es für einen strahlenden neuen West-Point-Kadetten schwerwiegende Konsequenzen, wenn die Geschichte jemals herauskäme. Nina hatte jeden Tag bei der Show angerufen, bis ihre Frage endlich beantwortet worden war. Es handelte sich hier um eine lebensverändernde Entscheidung – nicht nur für sie, sondern auch für Laurence.
Seine Ausbildung in West Point und die Aussicht auf eine Karriere beim Militär wären sofort beendet. Es bestand sogar die Möglichkeit, dass er aufgrund ihres Alters mit einer strafrechtlichen Verfolgung würde rechnen müssen, auch wenn er selber noch minderjährig gewesen
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