Bewegt Euch
überhaupt nicht damit rechnet. Mit den Jahren haben wir unseren Frieden gemacht. Es geht nicht um Rekorde, sondern, ganz egoistisch, um Wohlbefinden und Einklang. Sich mit sich selbst zu versöhnen ist schließlich die zentrale Aufgabe jedes Menschen. Gut, dass ich dabei nicht allein bin.
2 Meine bewegendsten Fehler
Abb. f
When too perfect, lieber Gott böse.
Nam June Paik
Das Faszinierende am Bewegen ist: Ich mache immer alles falsch. Beim Wandern renne ich zu schnell los, beim Radfahren gehe ich weit vor dem Ziel ein, beim Paddeln leuchten nach einer Stunde kirschgroße Blasen aus meiner Handfläche, beim Yoga schlafe ich ein, beim Fußball im Park verstauche ich mir den Knöchel. Und im Kaufrausch glaube ich fest daran, dass neue Sportklamotten aus kostbaren Chemiefasern meine Leistung ebenso steigern wie sündteure Wunderpillen aus der Apotheke. Dazu noch ein Buch ( In drei Monaten zum Kenianer ) sowie eine Fachzeitschrift (Sixpack übers Wochenende) – und ich bin für Monate frustriert. Nichts klappt so wie versprochen. Nein, Bewegung macht nicht nur glücklich. Im Gegenteil: Irgendwas tut immer weh, eine Niederlage nagt wochenlang an meinem Ego, wenn mir nicht gerade die Angst vor einem Wettbewerb den Schlaf raubt.
Immerhin kann ich eine Lernkurve erkennen. In den vergangenen zehn Jahren bin ich gelassener geworden, ruhiger, vorsichtiger. Aus manchen Fehlern habe ich sogar gelernt, andere bleiben gute alte Bekannte für den Rest meines Lebens.
Die anschwellende innere Ruhe habe ich meinem Achim zu verdanken. In den ersten Jahren war er vor allem stiller Beobachter. Wie ein Musterschüler schrieb ich meine Kolumne, die den Nachweis erbringen sollte, dass ich alles, aber auch wirklich alles total richtig machte. Achim lehnte im Türrahmen, grinste und fragte: »Na? War es das, was du gewollt hast?« Wir hatten die Vereinbarung, schonungslos ehrlich zu sein. Also verneinte ich. Zwar hatte ich mich ordnungsgemäß bewegt. Aber ich blieb dennoch unzufrieden. Oder wütend. Oder müde. Oder enttäuscht. Oder widerspenstig. Die vielen Heilsversprechen hatten sich als leere Geschenkpackungen entpuppt. Lag es an mir? War ich der ewige Scharping, dem misslang, was immer er anfasste?
Mit den Jahren kapierte ich: Es gab nicht einen einzigen Fehler, nicht ein zentrales Missverständnis oder Problem, sondern ein ganzes Sammelsurium: Wer sich einigermaßen regelmäßig bewegt, muss derart viele Fallen umkurven, dass er unweigerlich in eine tappt, vor allem dann, wenn er sich sicher fühlt. Die Kunst besteht darin, Fehler zu erkennen, die ernsthaft schädlichen zu bekämpfen und den Rest einfach lieben zu lernen, so wie die Macken des Partners.
Fehler sind wie alte Bekannte, lästig, aber vertraut. Deswegen wiederhole ich sie auch so gern – das maßlose Selbstüberschätzen, die Materialschlacht, Leichtsinn und Planwahn. Andere Fehler dagegen waren so schmerzhaft, dass ich auf eine Wiederholung gut verzichten kann. Das Ignorieren von Körpersignalen gehört dazu ebenso wie der Lauf in den tiefen schwarzen Tunnel, dessen Ausgang leider zugemauert ist. Bewegen ist und bleibt Lernen. Perfektion gibt es nie, Fehler immer.
Die Performance-Falle
Besteigt den Berg, damit ihr die Welt sehen könnt, nicht damit die Welt euch sieht.
David McCullough, Englischlehrer an der Wellesley High School
Das Zauberwort unserer Tage heißt »Performance«, nicht zu verwechseln mit »Leistung«. Performance ist mehr, nämlich Leisten plus Darstellen. Performen kann Spaß machen. Oder Druck erzeugen. Die Korrelation zwischen lebenslangem Performen-Müssen und dem grassierenden Burn-out ist offensichtlich. Manchen ist alles zu viel.
Das darstellende Leisten bedeutet, dass »wir uns stets voraus sind, ankündigen, versprechen, planen und entwerfen«, sagt der Autor Christoph Bartmann. Permanentem Performance-Druck halten nur ausgesprochen robuste Naturen stand. Jahrelang habe ich mich für einen solchen Robustling gehalten.
Mein Bewegen mit Achim hat mich gelehrt, dass diese Selbsteinschätzung schlichtweg falsch war. Top-Performance und Wohlbefinden sind zwei völlig verschiedene, bisweilen widersprüchliche Dinge. Verbissenes Leisten-Wollen macht mich krank. Achims fortwährendes Fragen, ob ich mich wohlfühlte, habe ich leichtfertig abgetan. Bis ich eines Sonntagsnachmittags auf dem Rasen des Kanzleramts in meinem eigenen Erbrochenen lag, zum Glück nur alkoholfreies Weizen, und mir endlich die richtige Frage stellte: Was tust
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