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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hajo Schumacher
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machen mich stolz. Ich weiß, dass ich kann, wenn ich will.
    Palim, palim
    Ich sitze im Auto. Regentropfen pladdern auf die Scheibe. Gleich hagelt es wahrscheinlich. Der Motor ist schon lange still. Links liegt der schwarze Wald.
    Dort wollte ich jetzt laufen. Aber nicht bei diesem Wetter. Temperatur um die fünf Grad. Nie waren die Beiträge im Radio spannender. Wenn ich aussteige, bin ich sofort patschnass und tiefgefroren. Wenn ich zehn weitere Minuten warte, werde ich in zehn Minuten nass und kalt sein. In meinem Alter sollte man keine Lungenentzündung riskieren. Ich habe noch so viel vor.
    Warten ist keine Lösung. Dahinten wird es nicht heller, sondern dunkler. Jetzt kein voreiliges Aussteigen. Sofortiges, angenässtes Wiedereinsteigen wäre die größte aller Niederlagen. Ehrensache: Wer aussteigt, muss auch loswetzen. Ich liebe die Bewegung. Nur jetzt gerade nicht.
    Also gut, noch mal von vorn. Ich war die drei letzten Tage dienstlich unterwegs, saß bis spät abends in Zügen, am Rechner, hatte nicht eine Minute lang Bewegung draußen. Ich bin verspannt, teigig und muffelig. Diese eine Stunde habe ich mir mit Mühe freigehauen, um mich endlich mal wieder locker zu machen. Es ist mir ein inneres Bedürfnis.
    Und jetzt? Will ich plötzlich nicht mehr. Ich bin zu zögerlich, um ein klares Ja oder Nein zu formulieren. Da hilft nur systematisches Abschichten – alle denkbaren Optionen völlig wertfrei auflisten mit dem Willen, sich für eine zu entscheiden. Und zwar ohne Hintertürchen. Klares Kommunizieren ist die Mutter des Erfolges. Bedürfnisse bewusst machen und aussprechen.
    Leider sind meine Bedürfnisse widersprüchlich: Ich will laufen. Aber ich will nicht nass werden. Kalt auch nicht. Regenjacke fällt aus: Entweder ist sie wasserdicht, dann schwitze ich mich tot. Oder sie lässt Luft, dann hält sie nicht mal einen Spritzer ab.
    Also gut, jetzt mal systematisch. Und am Ende steht eine Entscheidung, damit das klar ist.
    Möglichkeit eins: Motor anlassen, umdrehen, nach Hause fahren, duschen, frühstücken. Das wäre die einfachste Lösung, hätte aber den Nachteil, dass ich mich den Rest des Tages verachten würde für meine Laschheit.
    Möglichkeit zwei: geduckt aus dem Auto huschen, 15 Minuten Alibi-Trab und fertig. Auch Unsinn. Ich hätte weder trainiert noch ein Wohlgefühl erzeugt, sondern einfach nur die Klamotten eingesaut. Reine Show: Ich würde aussehen, als wäre ich gelaufen, für die Nachbarn, Mona, unseren dauerlaufenden Briefträger, der mich immer ganz wehmütig anguckt, wenn ich vormittags vom Rennen zurückkomme. Alle wären überzeugt von meiner Heldenhaftigkeit. Aber es wäre Betrug. Du kannst alle bescheißen, nur dich selbst nicht. Einer der wichtigsten Sätze meines Läuferlebens – oft zitiert, selten eingehalten.
    Dritte Möglichkeit: Augen zu, raus und los. Die bewährte 45-Minuten-Runde. Warum denn nicht? Der Körper wäre nach wenigen Minuten auf Temperatur, die Kälte würde abprallen. Mit jedem Schritt würde sich mein Selbstbewusstsein aufrichten.
    Aber ich könnte ausrutschen oder mir den Knöchel vertreten. Eine Verletzung wäre das Schlimmste. Warum soll man wochenlang nicht laufen, nur weil man ein einziges Mal den Helden spielen musste? Ist ja nicht immer nur toll, wenn man sich überwindet. Hat auch seine Nachteile. Über die wird viel zu selten gesprochen.
    Außerdem ist das Radio gerade so spannend. Diesen einen Beitrag über tibetischen Wetterzauber höre ich noch zu Ende. Dann werde ich aussteigen. Garantiert.
    Der Regen klatscht immer stärker an die Scheibe.
    Warum sitze ich hier überhaupt?
    Wem will ich was beweisen?
    Ob ich dieses eine Mal schwänze oder nicht ist für den Gang der Welt völlig unerheblich. Mut zur Pause. Auch mal »nein« sagen. Entschleunigung. Das ist doch die wahre Tugend. Druck rausnehmen, vor allem den selbst gemachten. Ich fahre jetzt nach Hause.
    Stopp! Keine voreiligen Entschlüsse. Im Affekt kurz gut gefühlt und hinterher wochenlang die Seele reparieren müssen. Kennen wir alles. Erst mal ruhig bis zehn zählen. Und noch mal anfangen zu denken, ganz egoistisch: Was macht mich, nur mich, glücklich? Trocken und warm bleiben? Oder nass und ausgepumpt?
    Was für eine Frage – natürlich nass und ausgepumpt. Menschen fahren an die Nordsee, weil sie das Gefühl genießen, »endlich mal wieder den Kopf freigepustet zu kriegen«, wenn sie eine Viertelstunde in vierlagigem Goretex am Strand gegen ein paar Regentropfen und Schrägwind

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