Bewegt Euch
passiert. Ich habe einen Entschluss gefasst, den Entschluss, bei der Sekundenjagd nicht mehr mitzumachen. Manchmal braucht es diese Bling-Momente, das kurze Aufblitzen eines Gedankens, die das Leben verändern.
Der verkorkste Marathon drei Wochen später wirkte wie ein dickes Ausrufezeichen, mit Bier ins Gras gespuckt. Was wollte ich wirklich? Sekunden sparen? War das die große Aufgabe, die mir für mein Leben gestellt worden war? Ziemlich arm, oder? Die sehr viel schwierigere Übung war es, einfach mal loszulassen. Ich bleibe dran.
Das Glück des Moments
Du bist Stille, Liebe, Zufriedenheit.
Madhukar
Bewegen heißt: den glücklichen Moment einladen. Weil diese Sekundenbruchteile so zahlreich sind, aber auch so schnell wieder verschwinden wie ein Kuss, wie ein Lächeln, wie ein Sonnenstrahl, habe ich statt länglicher Theorien einfach eine Ansammlung von bewegenden Glücksmomenten aufgelistet. Ja, ich bin süchtig danach.
• wenn mein Kleiner im Baby-Jogger eingeschlafen ist
• wenn ich mit einer Horde Rennradfahrer geduckt über Brandenburger Alleen jage
• wenn die Wellen leise gegen das Paddel schlagen
• wenn wir nach einer Nachtwanderung auf dem Gipfel auf den Sonnenaufgang warten
• schwimmen im Nieselregen in Dreier-Keil-Formation
• anhalten, hinsetzen, starren, Uhr vergessen
• »Don’t stop me now« von Queen in den Ohren und volle Pulle rennen
• kaltes, klares Wasser
• Donnerstagabend das »Café am Neuen See« erreichen und wissen: in fünf Sekunden ziehen wir für 500 Meter an
• Käsebrot am Gipfelkreuz
• ankommen
• mit guten Freunden synchron laufen, atmen, schweigen
• frische, blütenweiße Socken anziehen
• in eine Pfütze von unbekannter Tiefe treten
• Frühlingssonnenstrahlen im März
• wenn der Blick beim Schwimmen sich auf Wellen, Wasser, Wald, Wolken reduziert
• wenn der Kleine beim Abstieg fragt: »Papa, auf welchen Berg klettern wir morgen?«
• völlig ausgeflippt zwitschernde Vögel
• wenn mich mein Kleiner tunnelt
• der perfekte Frisbee-Wurf mit Karl im Central Park
• wenn Morgenmüdigkeit umschlägt in Bewegungsfreude
• an einem Biergarten beschleunigen
• an einem Biergarten bremsen und einkehren
• das Sirren der Kette
• den vorweglaufenden Kontrahenten beharrlich einholen
• fachsimpeln
• das Rad vom Hauptbahnhof runter an die Spree rollen lassen
• beim Blick auf die Uhr überlegen, wo die letzte Viertelstunde geblieben ist
• mit dem Radkurier eine zügige Fahrgemeinschaft durch die halbe Stadt bilden
• zwanzig Liegestützen am Stück
• Rolltreppenfahrer demütigen
• guten Gewissens nach dem Training einen doppelstöckigen Burger verschlingen, mit Fritten
• gleiten, ohne sich anzustrengen
• das Lächeln eines Entgegenkommenden
• ein Insekt ausspucken, anstatt es zu verschlucken
• wenn gute Freunde, um deren Gesundheit man sich schon länger sorgt, eines Tages verkünden: »Ich laufe jetzt!«
• wenn der Rucksack spürbar leichter wird
• beim Wandern die ambitionierten Zeitpläne einfach vergessen und die Kinder das Tempo machen lassen
• ein Schluck aus der Pulle
• wenn ich mich bei Selbstgesprächen ertappe und kaputtlache
• wenn der Neoprenanzug nach dem langen Winter passt
• Gewitter, gute Regenklamotten und noch sechs Kilometer bis zur Hütte
• Einsamkeitspanik überwinden
• die eine Sekunde zwischen Hinlegen und Einschlafen
• Gewürzgurken und Edamer im Kühlschrank
• frische Sportklamotten aus der Waschmaschine ziehen
• Aqua-Fitness unter Monas Kommando
• Seeotter, die mein Kajak inspizieren
• im Stadion auf der sonnenwarmen Tartanbahn dösen
• spontanes, grundloses Heulen
• verschwitzte Leiber nach dem Schlussspurt umarmen
• die letzte Kurve der Silvretta-Höhenstraße neben Karl erklimmen
• rennen, bis nichts mehr geht
• mit der Familie unter einem Baum sitzen und den Schauer abwarten
• in der Morgensonne am Wannsee sitzen und aufs Wasser stieren
• die Atemgeräusche von Schwimmtrainerin Heike
• Geld in der Waschmaschine finden, das in meiner Laufhose steckte
• neue Schuhe ausprobieren
• Training schwänzen und Fernsehen gucken
• Eskimorolle üben, immer und immer noch mal
• in Matschpfützen springen, wenn eh schon alles trieft
• Sportkameraden von Nattern unterscheiden lernen
• Trainer verblüffen, so oder so
• Kopf aus, Körper machen lassen
• vor Muskelkater nicht einschlafen können
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