Bewegt Euch
50-Meter-Bahn am Stück schaffen. Wer 50 kann, der kann auch 100. Und wer 100 schafft, der lacht über 1 000. Oder 1 500. Keine Details jetzt.
Bei meinem ersten Versuch kam ich etwa elf Meter weit. Ich hatte mich selbstbewusst auf der durch Leinen abgeteilten Profi-Schwimmer-Bahn einsortiert. Fehler. Hysterisch japste ich nach Luft. Hätte mich der Bademeister mit seiner Stange aus dem Becken geangelt – ich hätte es geschehen lassen. Für die richtigen Schwimmer war ich kein Kollege, sondern Hindernis, weil ich mitten auf der Bahn »toter Mann« machte.
Ich wechselte unauffällig in den Oma-Bereich, schwamm ein paar Bahnen Brust, versuchte einen weiteren Maximaltest in Kraul, brach aber schon bei neun Metern jämmerlich ein. Immerhin hatte ich einen zuverlässigen Statusbericht: Eigentlich kannst du gar nicht kraulen, weder schön noch schnell noch kräftig noch technisch sauber. Bestweite elf Meter. Hart, aber wahr.
Zwei Fachbücher und den halben Winter später konnte ich trotz mangelnder Kraft, Schnelligkeit und Technik tatsächlich 50 Meter durchkraulen. Und wieder zurück. Für Fachleute mochte es gruselig aussehen. Aber es funktionierte, halbwegs schmerzfrei. Die Lust auf Hawaii hatte mir Arme gemacht. Unbändiger Stolz beseelte mich, als ich zum ersten Mal 500 Meter am Stück wegkraulte, zehn Bahnen hintereinander, ohne Pause oder Erstickungsanfälle. Ich hatte mir selbst etwas erarbeitet, was mich glücklich machte. Ich hatte Fleiß, Konzentration und Ausdauer bewiesen. Wenn das keine Selbstüberwindung war. Ich fühlte mich ganz schön gut.
Das war leider Unsinn. Nicht alles, was glücklich macht, ist auch richtig. Denn meine autodidaktischen Bemühungen hatten Bewegungsabläufe in mein Körpergedächtnis gemeißelt, die ausgesprochen hinderlich wirkten. Wer nichts von Laufen versteht, kann wahnsinnig lange trainieren, bis er endlich auf einem Bein zehn Kilometer hüpfen kann. Das ist weder schnell noch ökonomisch noch gesund. Ich hätte mit halber Kraft doppelt so schnell sein können, wenn ich von Anfang an jemanden gefragt hätte, der was von Schwimmen versteht.
Das Schicksal war wieder gnädig mit mir. Das Fitness-Studio bei uns um die Ecke bot einen Swimmingpool. Und am Beckenrand stand täglich eine resolut lächelnde Person, die Freude an schweren Fällen hatte: Heike, die einst im obersten Zehntel der DDR-Elite schwamm.
Heike gab Kurse für Gruppen und Einzelkämpfer. Heike war kundig in Qigong und anderen Konzentrations-Disziplinen. Heike war geduldig und selbstbewusst. Und bald war Heike meine Trainerin, was auch daher kam, dass ich sie mit Herrschaften üben gesehen hatte, die noch etwas ungelenker aussahen, als ich mich fühlte. Freizeitsportler definieren sich ja gern über diejenigen, die noch weiter unten stehen in der Leistungskette.
Heike war wunderbar. Sie machte überhaupt keinen Hehl aus ihrer professionellen Verachtung für meinen Bastard-Style. Ich fühlte mich wie ein Kantholz in der Ostsee, wenn sie kopfschüttelnd vom Beckenrand aus auf meine teilkoordinierten Bewegungen starrte. Sie sah alles, und sie lachte.
Heike holte nach, was der Sportlehrer nicht geleistet hatte: Sie verriet mir das Geheimnis guten Schwimmens – Körperspannung. Viele Hobbyschwimmer hängen einfach wie ein vollgemachter Strumpf im Wasser, fleischgewordene Bremsfallschirme, die wie verrückt gegen den immensen Wasserwiderstand anrackern, den ihre Schieflage erzeugt. Heike verordnete allerlei Übungen für die Körpermitte, die bei fast jedem Sport vernachlässigt wird.
Es ist mental anspruchsvoll, sich wie im Seepferdchen-Kurs zum Horst zu machen und auf Heikes Befehl wie ein Pinscher durchs Becken zu paddeln. Immer wieder mitleidige Blicke, besorgte Fragen und freches Grinsen anderer Gäste. Aber Heike hilft. Und Spaß macht sie auch.
Heute schwimme ich gern. Morgens früh durch die Krumme Lanke zu kraulen, das bedeutet Urlaub. Das kühle Wasser, die Sonne in den Bäumen, allein mit Enten und Haubentauchern. Und erst das Danach. Gerade und aufrecht stakse ich aus dem Wasser, im sicheren Bewusstsein, den Bandscheibenvorfall wieder ein paar Tage verschoben zu haben.
Kein Bewegen hat mich so viel Überwindung gekostet wie das Schwimmen. Aber ich bin glücklich, dass ich es durchgezogen habe. Lebenslanges Lernen gilt eben überall.
Maul halten und machen
Zu meinen fortgesetzten Unvernünftigkeiten gehört das Ignorieren allgemein akzeptierter Trainingserkenntnisse. Ob Leistungs sportler oder
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