Bewegt Euch
Bügelmaschine. Meine Mutter wünschte sich beides. Technische Geräte, die die Hausarbeit bewältigen, rangierten im letzten Quartal des vergangenen Jahrhunderts ganz oben auf der Prestigeliste. Die Nachbarn würden staunen.
So standen zwei Erwachsene und zwei Jungs eines Ostersamstags andächtig um ein orangegelbes Plastikgerät herum. Unter der Haube befand sich eine Art Eierpappe aus transparentem Kunststoff, die auf einer kleinen Heizplatte installiert war. Zunächst mussten die Eier gepiekt und in die vorgesehenen Löcher gestellt werden, sodann war mit einem Messbecher exakt jene Menge Wasser abzuzirkeln, die vier Eier mittlerer Größe löffelweich kochen würde. Deckel drauf, Stecker rein.
Endloses Starren auf den gelben Leuchtknopf. Fünf Minuten. Endlich. Leuchte verlischt. Sirene schnarrt. Sensation. Unser Eierkocher hatte tatsächlich vier Eier gekocht. Die Familie war begeistert: deutsche Ingenieurskunst in Vollendung, zudem Wasser gespart und Herdbetriebszeit. Wir wollten unseren neuen dotterfarbenen Freund nicht mehr missen.
Ähnlich euphorisch begrüßten wir die Bügelmaschine. Zwei beheizbare Stoffwalzen zogen Textilien unerbittlich in ihren Schlund. Ein dickes Bedienungsheft erklärte, dass es gefährlich sei, die Hände zwischen die Walze zu bringen. Außerdem seien nur glatte Sachen bügelbar, Küchenhandtücher, Bettwäsche, Tischdecken, notfalls Unterwäsche, aber nur solche ohne Appli kationen.
Ich schwöre: Mein Vater fotografierte, als meine Mutter den ersten Kopfkissenbezug, akkurat gefaltet, saumwärts zwischen die Rollen schob. Das Monstrum sog, meine Mutter hielt dagegen, das Kopfkissen spannte sich wie ein Sprungtuch. Hinten kam tatsächlich ein geplättetes Stück Wäsche heraus, das allerdings auf den Kellerboden fiel, weil niemand daran gedacht hatte, den Auffangkorb einzuhängen. Ich glaube, wir applaudierten.
Fortan verbrachte meine Mutter einsame Abende im Keller mit Tauziehen gegen die Bügelmaschine. Meine Eltern hatten ausgerechnet, wie viele Wäscheteile zu bügeln wären, damit sich der Apparat amortisierte. Das lästige Hemdenbügeln erledigte die Maschine übrigens nicht.
Etwa ein halbes Jahr später erlitten Eierkocher und Bügelhalbautomat dasselbe Schicksal: Sie verschwanden an dunklen Orten im Keller, wo sie ihre Erwerber nicht täglich daran erinnerten, dass Anschaffungskosten, Erwartungen und tatsäch liche Lebenserleichterung in einem krassen Missverhältnis standen.
Eine weitere Lektion fürs Leben gelernt: Nicht alles, was neu ist und einen Stecker hat, ist besser. Für digitale Hilfsprogramme gelten diese Regeln umso mehr. Kofferraumschließautomatiken sind Spielzeuge für Erwachsene. Dasselbe gilt für GPS-Programme, die Trainingsrouten im Stadtpark anzeigen, für Fahrradkurbeln mit Watt-Messung am Klapprad und Kanu-Kompasse im Baggersee.
Viele dieser Spielereien sind das Gegenteil von Bewegung, wie man in jedem Park am Slackline-Phänomen sehen kann. Ein halbes Dutzend Menschen ist damit beschäftigt, das Seil umweltgerecht zwischen zwei Bäumen zu spannen und zwar so straff, dass ein 100-Kilo-Mensch nicht den Boden berührt. Nach zwei Stunden gemeinsamer Aufbauarbeit sind die ursprünglich Balancierwilligen so geschafft, dass sie erst mal ruhen müssen. Die Leine spannt sich einsam zwischen den Bäumen. Das Bewegungsvorhaben muss bis zum nächsten Wochenende warten.
V erpennt den Event
Erlebniskochen für Genießer unter Anleitung unseres Eventkochs.
Aus dem Angebot eines »Naturerlebnis«-Anbieters
Steht »Event« auf einem Unterhaltungsangebot, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um teures Schlangestehen. »Authentisch« ist auch so ein Killerbegriff. Exakt im Moment, da »Authentizität« auch nur gedacht wird, geht selbige sofort flöten. Es ist wie beim Sonnenuntergang. Sagt einer der Liebenden »wie romantisch«, ist die Stimmung dahin. Mein drittes Hasswort heißt »Erlebnis«. Unlängst entdeckte ich ein »Erlebnisbrötchen«, so benannt, weil die Mohnkrümel nicht nur auf der Schrippe klebten, sondern auch im Teig: Mohnbrötchen mit Mohn im Brötchen – ein authentisches Event-Erlebnis.
Meine authentischen Erlebnis-Events: Ich brause im Pulk mit dem Rennrad über die B 2, eigens für uns gesperrt, und sehe, dass wir 52 km/h fahren. Ich laufe mit dem Kleinen auf dem Rad neben mir durch den diesigen Novembermorgen. Ich wandere mit meiner Frau sechs Stunden durch den Rosengarten in Südtirol. Manchmal reden, manchmal schweigen
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