Bewegungswissenschaft
entwicklungstheoretischer Konzepte konzentrieren sich im Wesentlichen auf die psychischen und motorischen Verhaltensveränderungen des Individuums in der Zeit. Längsschnittliche Verhaltensdaten über mehrere Zeitpunkte im individuellen Lebenslauf ermöglichen Aussagen über die intraindividuellen Entwicklungsveränderungen . Wird eine größere Gruppe von Menschen beobachtet, lassen sich interindividuelle Variationen der intraindividuellen Lebensläufe erkennen ( vgl. Lektion 8, Kap. 2 ).
Die Brauchbarkeit und Interpretierbarkeit entwicklungspsychologischer Daten hängt maßgeblich von der Güte des Datenmaterials ab. Über Einzelfallstudien, Analysen von Tagebüchern oder literarische Quellen erhobene qualitative Entwicklungsdaten ermöglichen die genaue Beschreibung individueller Entwicklungsverläufe. Quantitative Entwicklungsdaten basieren auf systematischen Beobachtungen oder Experimenten unter weit gehend kontrollierten Bedingungen, die den wissenschaftlichen Gütekriterien der Objektivität, der Reliabilität und der Validität entsprechen. Im Gegensatz zur qualitativen Datenerhebung werden potenzielle Störvariablen möglichst ausgeschaltet oder zumindest konstant gehalten ( vgl. Lektion 2, Kap. 4 ).
3 Was besagen Theorien der menschlichen Entwicklung?
Die Vielzahl klassischer und moderner Entwicklungstheorien erfordert die Systematisierung der voneinander abweichenden entwicklungstheoretischen Grundannahmen. Abbildung 66 führt vier bedeutsame Perspektiven auf: organismische, exogenistische, konstruktivistische und kontextualistische Entwicklungskonzepte. Die unterschiedlichen Erklärungsansätze lassen sich danach zusammenfassen, inwieweit sie dem Subjekt auf der einen und der Umwelt auf der anderen Seite eine aktive oder passive Rolle bei der Ontogenese zugestehen und welche Annahmen bezüglich der Interaktionen zwischen endogenen und exogenen Entwicklungsfaktoren vorliegen.
Abb. 66: Perspektiven der Entwicklungspsychologie
Unterkapitel 3.1 stellt in einem stark verdichteten Überblick die in der Sportwissenschaft lange Jahre kontrovers diskutierten organismischen, exogenistischen und konstruktivistischen Entwicklungskonzepte vor. Im Mittelpunkt des Unterkapitels 3.2 steht die seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts favorisierte Theorie der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne von B ALTES (1979, 1990, 1997; B RANDSTÄDTER , 1990; B ALTES , L INDENBERGER & S TAUDINGER , 1998; B ALTES , S TAUDINGER & L INDENBERGER , 1999), der für die sportbezogene Entwicklungsforschung ein hohes Anregungs- und Innovationspotenzial zukommt. Die Kurzdarstellung der einzelnen Entwicklungsperspektiven zielt nicht auf eine vollständige Auflistung aller theoretischen Grundannahmen und empirischen Forschungsbefunde. Hierzu liegen ausführliche Abhandlungen von B AUR ET AL . (1994), T RAUTNER (1997) und O ERTER und M ONTADA (2002) vor.
Vertiefende Einblicke in die Grundzüge der Teilgebiete der Entwicklungspsychologie bietet der meistzitierte Klassiker „O ERTER und M ONTADA “ (2002). Kompakt und relativ unkompliziert stellen die beiden Entwicklungspsychologen mit einer Vielzahl von Literaturverweisen die Grundlagen und Methoden der Entwicklungspsychologie sowie die menschliche Entwicklung in einzelnen Lebensabschnitten und Funktionsbereichen dar. Als eine gute Alternative empfiehlt sich das doppelbändige Lehrbuch von T RAUTNER . Der detaillierte Überblick über die grundlegenden Theorien und Befunde (1997), die Aufgaben, die Erhebungsmethoden und die methodischen Probleme der Entwicklungspsychologie (1992) besticht durch die hohe didaktische Qualität, die sehr gute Verständlichkeit und die einprägsamen Alltagsbeispiele.
3.1 Welche traditionellen Entwicklungstheorien müssen berücksichtigt werden?
Die Anfänge der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der menschlichen Ontogenese beherrschen drei unterschiedliche Erklärungsansätze. Organismische Entwicklungskonzepte betrachten ausschließlich genetische Entwicklungsdeterminanten (Kap. 3.1.1). Die Herausstellung organismischer Ansätze rechtfertigt deren große Bedeutung in der klassischen Entwicklungspsychologie und ihre Renaissance in aktuellen ethnologischen und sozialbiologischen Entwicklungskonzeptionen. Demgegenüber beschreiben exogenistische Theorien die Ontogenese als einen sozialkulturellen Prozess, dem das Individuum zwangsläufig unterliegt (Kap. 3.1.2). Konstruktivistische Entwicklungskonzeptionen propagieren komplexe Interaktionen von
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