Bewegungswissenschaft
Lebenslaufs
Der Wirkungsgrad kritischer Lebensereignisse bleibt nicht auf bestimmte Lebensbe-reiche begrenzt, sondern kann auch auf andere Bereiche übergreifen. Der Verlust des Arbeitsplatzes betrifft sowohl das berufliche Umfeld als auch ökonomische, soziale, familiäre und möglicherweise auch sportbezogene Lebenswelten. Kritische Lebens-ereignisse könnendarüber hinaus auf die Bewegungsbiografie einwirken. Die komplizierten Wechselbeziehungen zwischen diesen beiden Entwicklungsaspekten werden bislang nur exemplarisch skizziert, da Entwicklungsforscher weder die Art und Weise der Einlagerung kritischer Lebensereignisse in die Bewegungsbiografie noch deren Folgen wegen des außerordentlich schwierigen forschungsmethodischen Zugangs empirisch untersuchen.
5 Traditionen und moderne Trends der motorischen Entwicklungsforschung im Überblick
Entwicklungspsychologische Erklärungsansätze der menschlichen Ontogenese lassen sich offensichtlich auf unterschiedliche theoretische Grundannahmen zurückführen. Gegen den Vergleich verschiedener Konzepte spricht, dass diese für bestimmte ontogenetische Thematiken jeweils individuelle Schwächen und Stärken aufweisen. Zwar ist der neueste Entwicklungsansatz nicht automatisch der Beste. Deutlich zu erkennen ist aber, dass moderne Perspektiven die Entwicklung umfassender betrachten als klassische Positionen. Angeraten scheint es, die bestehenden Differenzen zwischen verschiedenen Entwicklungspositionen über die nächsten Jahre zu akzeptieren, um die empirische Konfrontation aufrecht zu halten. Insgesamt gerät die Diskussion über die „beste“ Entwicklungstheorie durch die lückenhafte und uneinheitliche Befundlage über die relevanten Entwicklungsfaktoren und deren Wirkungszusammenhänge momentan in eine „entwicklungstheoretische Sackgasse“.
Einen möglichen Ausweg zeichnen kontextualistische Entwicklungspositionen , insbesondere die metatheoretische Rahmenkonzeption der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne von B ALTES (1990, 1997; B ALTES ET AL ., 1998, 1999). Seine acht Leitorientierungen zur kognitiven Entwicklung des Menschen schärfen den Forschungsblick für die multivariate Evaluation interindividueller Differenzen und intraindividueller Veränderungen der motorischen Entwicklung, des spezifischen Vorhersagewerts ontogenetischer Bedingungsfaktoren und deren komplexen Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Für die zukünftige motorische Entwicklungsforschung besonders attraktiv erscheinen die Leitsätze der intraindividuellen Plastizität und des Kontextualismus. Nach der Leitlinie der intraindividuellen Plastizität ist die motorische Entwicklung maßgeblich durch das Ausmaß der Veränderbarkeit innerhalb einer Person und dessen Grenzen gekennzeichnet. Der Leitsatz des Kontextualismus zählt die altersbezogenen, evolutionär-historischen und nichtnormativen Bedingungsfaktoren zu den zentralen Einflussvariablen der Ontogenese.
Im Bereich der motorischen Entwicklung kann das komplexe Bedingungsgefüge der vielfältigen entwicklungsrelevanten Einflussfaktoren gegenwärtig nur schwer alsGanzes analysiert werden. Zur Reduzierung des hohen Komplexitätsgrades des Forschungsgegenstandes schlagen W ILLIMCZIK und C ONZELMANN (1999) eine Beschränkung motorischer Entwicklungsstudien auf das Training der konditionellen Fähigkeiten, das motorische Lernen und Optimieren oder die sporttypischen Sozialisationsprozesse vor. Ein derartiges Vorgehen gewährleistet die direkte empirische Überprüfung bestimmter entwicklungstheoretischer Vorstellungen. Über den realen Erklärungswert altersbezogener, evolutionär-historischer und nichtnormativer Prädiktorvariablen und deren Wechselbeziehungen lassen sich nur „verzerrte“ Kenntnisse aufzeigen.
Zentrale Begriffe
Bewegungsbiografie, Drei-Faktoren-Modell, Entwicklungsfaktoren (altersbezogene, evolutionär-historische, nichtnormative), Entwicklungsphasen, Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, Entwicklungsstufen, Entwicklungstheorien (exogenistische, konstruktivistische, kontextualistische, organismische), Kontextualismus, Leitorientierungen der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, nicht-normative Lebensereignisse, Plastizität, Testing-the-Limits-Methode, Theorie der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne, Umweltfaktoren, Ursache-Konsequenz- Beziehungen, Variabilität, Wachstum.
Zur vertiefenden Weiterarbeit
B AUR , J., B ÖS , K. & S INGER , R. (Hrsg.). (1994). Motorische Entwicklung. Ein Handbuch. Schorndorf:
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