Bewegungswissenschaft
Fahrradfahren oder alpinen Skilauf durch die Skelettmuskeln – dominieren die Ia-Afferenzen und als schneller Korrekturmechanismus die α-γ-Koaktivierung (schneller Dehnungsreflex: 30 ms; langsame transkortikale Schleife: 50-80 ms).
Den größeren Zeitbedarf von ungefähr 200 ms für die zweite Art der Ausführungskontrolle – Korrekturen von Ungenauigkeiten in der zentralnervösen Bewegungsprogrammierung – bedingen zeitaufwändige kortikale Sollwert-Istwert-Vergleiche (vgl. Kap. 3). Mögliche Sollwert-Istwert-Differenzen leiten direkte Anpassungen des ausgewählten Bewegungsprogramms an die veränderten Umweltbedingungen ein, indem die Bewegungsrichtung, die Bewegungsgeschwindigkeit, die Kraftdosierung oder die Gelenkwinkelstellung leicht modifiziert werden. Beim Snowboardfahren dienen die Ausgleichsbewegungen der Arme und des Oberkörpers der Kompensation kleiner Gleichgewichtsstörungen (Istwert), um möglichen Stürzen entgegenzuwirken (Sollwert).
Die zweite Hauptform der Ablaufkontrolle motorischer Programme – die Überwachung der Auswahl der Bewegungsprogramme – verlangt umfassende willkürliche Planungs- und Entscheidungsprozesse. S CHMIDT (1988) und R OTH (1989) differenzieren wiederum zwei Korrekturarten. Die Korrekturen von Fehlern in der Auswahl der Programmparameter modifizieren die Parameterkennwerte auf Grund der wahrgenommenen kurzfristigen Umweltveränderungen. Der Badmintonspieler stellt beispielsweise während der Ausholbewegung fest, dass es für einen Punktgewinn von Vorteil wäre, die bereits festgelegte Schlagrichtung kurzfristig von links nach rechts abzuwandeln, um angemessen auf das veränderte Stellungsspiel des Gegenspielers zu reagieren.
R OTH (1989) ermittelte für die Modifizierung verschiedener Programmparameterwerte beim Handballsprungwurf (Wurfrichtung: von rechts nach links, von tief nach hoch), beim Tennisvorhandschlag (Schlagrichtung: von rechts nach links; Schlaglänge: von kurz nach lang) und beim Volleyballschmetterschlag (Schlagrichtung: vondiagonal nach longline; Schlaglänge: von kurz nach lang) einen Zeitbedarf zwischen 380 ms und 490 ms. Veränderungen der vorab festgelegten Parameterwerte können aber nur dann realisiert werden, wenn der Sportler deren Notwendigkeit 400-500 ms vor dem Ende der Bewegungsausführung erkennt. Für die vollständige Neuprogrammierung motorischer Fertigkeiten (Tennis: vom Slice zum Topspin; Volleyball: vom Schmetterschlag zum Lop) – Korrekturen von Fehlern in der Auswahl des Bewegungsprogramms – belegt R OTH (1989) eine deutlich längere Zeitdauer von etwa 560-750 ms.
6 Zentralnervöse Aspekte der Bewegungskontrolle im Überblick
Schnelle Bewegungen (< 200 ms) realisiert der Mensch nahezu ohne Rückgriff auf sensorische Rückmeldungen durch vorab festgelegte efferente Muskelanweisungen. Zu den unbewussten Mechanismen der Open-Loop-Bewegungskontrolle zählen die auf bestimmte Umweltreize mit genetisch festgeschriebenen Verhaltensweisen reagierenden motorischen Reflexe (z. B. monosynaptischer Eigenreflex, polysynaptischer Fremdreflex) und die motorischen Automatismen. Die willkürliche Bewegungskontrolle erfolgt durch zentralnervös repräsentierte motorische Programme .
Biologische Open-Loop-Systeme umfassen drei Komponenten: die Exekutive (Entscheidungszentrum), den Sollwert (zeitlich-dynamisches Bewegungskommando) und den Effektor (Muskel-Skelett-System). Nach der in der Bewegungsforschung weit verbreiteten Programmidee werden vor dem Bewegungsbeginn aus dem motorischen Gedächtnis vorstrukturierte sequenzielle oder hierarchisch geordnete Informationen über bestimmte Bewegungsabläufe abgerufen, exakt an die vorherrschenden Umweltbedingungen angepasst (Programmierung) und nach der Dekodierung der abstrakten Programminhalte in bioelektrische Aktionspotenziale (Efferenzen) über die efferenten Nervenbahnen an die motorischen Einheiten übermittelt. Als Hauptnachteil der Open-Loop-Bewegungskontrolle gilt, dass der Mensch eventuelle Planungsfehler bei der Programmerstellung oder unvorhersehbare Störungen nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht kompensieren kann.
Nach neurobiologischen Befunden zeigen sich die subkortikalen Motivationsareale , das Entscheidungszentrum (limbisches System, Frontalhirn) und die Assoziationsfelder des motorischen Kortex für den motorischen Handlungsantrieb, die Entscheidung über den Abruf des Bewegungsplans und die Analyse der sensorischen Informationen verantwortlich. Die
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