Bewegungswissenschaft
59) führt die Nichtexistenz sensibler Phasen ebenfalls zu keinen unmittelbaren Konsequenzen. „Es kann dabei bleiben, daß in der vorpuberalen Phase weiterhin ein ausgesprochen vielfältiges Fertigkeitsangebot bereitgestellt wird. Zu ändern ist allerdings die Begründung: Wurde dies früher gefordert, weil in diesem Alter am besten gelernt wird, ist das vielfältige Fertigkeitsangebot jetzt die Voraussetzung für eine hohe motorische Lernfähigkeit in späterer Zeit.“
Die Entwicklungsproblematik der Retardation und der Akzeleration thematisiert die Sportwissenschaft in den letzten Jahren trotz der besonderen Bedeutung für den Sport nur im Rahmen der Talentsuche oder der Talentförderung. Die Retardation bezeichnet die zeitweise oder ständig verzögerte Abfolge der Entwicklungsphasen im Vergleich zur „Entwicklungsnorm“. Bei der Akzeleration handelt es sich um die beschleunigte, zeitlich verkürzte Entwicklung. Besonders große Entwicklungsunterschiede können vom Beginn des späten Schulkindalters (10./11. Lebensjahr) bis zum Ende des späten Jugendalters (18./19. Lebensjahr) auftreten. Die Verzögerungen oder Beschleunigungen betreffen die morphologischen, funktionellen, kognitiven, emotionalen und motorischen Verhaltensveränderungen. Im Allgemeinen wirkt sich die körperliche Akzeleration positiv und die Retardation negativ auf die motorische Leistungsfähigkeit aus.
Die synchrone (harmonische) Akzeleration oder Retardation betrifft alle Persönlichkeitsfaktoren in gleicher Weise. Die asynchrone Akzeleration oder Retardation tritt als Störung des parallelen Entwicklungsverlaufs einzelner oder mehrerer Persönlichkeitsmerkmale auf. S HARMA (1994) belegt für extrem akzelerierte oder retardierte neunjährige Schüler eine Variationsbreite von bis zu 76 Monaten. Die Differenzen der Körpergröße und des Körpergewichts betragen bis zu 38 cm und 40 kg. Zur Frage, inwieweit gleichen sich die Entwicklungsdifferenzen akzelerierter und retardierter Kinder in späteren Lebensphasen aus, liegen keine empirisch gestützten Kenntnisse vor.
Die Nichtbeachtung möglicher Akzelerationen oder Retardationen kognitiver, körperlicher oder motorischer Persönlichkeitsmerkmale kann zu Fehlinterpretationen des individuellen Entwicklungsverlaufs führen. Als fragwürdig angesehen werden muss, wenn „in Lehrplänen – auf das Alter bezogene Leistungsnormen für sportmotorische Fähigkeiten und Fertigkeiten angegeben werden. Die Gefahr besteht darin, daß im Alter von 10-14 Jahren dann weniger die motorische Leistungsfähigkeit der Schüler als vielmehr deren Entwicklungsstand bewertet wird“ (W ILLIMCZIK , 1983, S. 300).
Verhaltensforscher erheben kognitive und motorische Entwicklungsdaten traditionellerweise über drei Erhebungsverfahren: die Längsschnittmethode, die Querschnittmethode oder die gemischte Längsschnittmethode (Überblick: T RAUTNER , 1992; O ERTER & M ONTADA , 2002).
Die Längsschnittmethode betrachtet dieselben Personen (P 1 bis P n ) zu mehreren Zeitpunkten (Z 1 bis Z n ) mit einem identischen Erhebungsinstrumentarium. Die Hauptvorteile dieses untersuchungsmethodischen Vorgehens betreffen neben der verlässlichen Aufdeckung des Einflusses vergangener Ereignisse auf gegenwärtige Verhaltensweisen, die direkten Informationen über die individuellen Entwicklungsverläufe und dieStabilität von Entwicklungsfaktoren. Vorteilhaft ist zudem die Möglichkeit der Analyse der Zusammenhänge der Veränderungen verschiedener Einflussvariablen. Mit der Längsschnittmethode erkauft sich der Anwender aber den Nachteil der Gebundenheit an das zum ersten Messzeitpunkt eingesetzte Erhebungsinstrument, auch wenn zu späteren Messzeitpunkten leistungsfähigere Verfahren zur Verfügung stehen. Als weitere Nachteile gelten die geringe Forschungsökonomie (hoher Zeitaufwand, organisatorische Risiken usw.), die hohe „natürliche“ Ausfallquote von Probanden im Verlaufe von Langzeitprojekten (Wohnungs-, Schul-, Berufsortswechsel, Krankheit, Tod, Desinteresse, Zeitmangel usw.) und die Gefahr von Testungseffekten bei wiederholten Messungen (z. B. Übungs-, Gewöhnungseffekte).
Die Querschnittmethode analysiert in einem eng begrenzten Zeitraum mehrere Individuen (P 1 bis P n ) aus verschiedenen Altersgruppen (A 1 bis A n ) mit demselben Messinstrument. Zu den Vorteilen der Querschnittmethode zählen die ökonomische Erhebung einer repräsentativen Stichprobe und die schnelle Verfügbarkeit der Ergebnisse. Diesen
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