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Beweislast

Beweislast

Titel: Beweislast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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gelassen den Rollladen hochziehen, aus dem Fenster blicken, sich an den Schönheiten der Natur erfreuen und in der Hoffnung auf noch lange Jahre des Rentnerdaseins sagen: »Herrgott, ich weiß, dass es irgendwann einmal sein muss. Aber pressieren brauchst du nicht.«
    Ein Revierleiter, der neben Häberle saß, flüsterte dem Ermittler ins Ohr: »Ich habs doch immer gewusst: Harte Schale, weicher Kern.«

49
     
    Der Termin stand fest – und weder Manuel Traknow, noch ein dezentes Gespräch, das Häberle mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Ziegler geführt hatte, vermochten daran etwas zu ändern. Denn sobald sich die Akten beim Gericht befanden, oblag es allein dem Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer, den Termin zu bestimmen.
    Ketschmar hatte stark abgenommen, litt oft unter Durchfall, schwitzte und zitterte in den Nächten. Er hatte miterleben müssen, wie einer seiner Zellengenossen,jener Türke, der aus Eifersucht seinen Widersacher erstochen hatte, zu 9½ Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags verurteilt worden war. Der Mann, bis dahin ein offenbar hart gesottener Bursche, war nach der Urteilsverkündung völlig verändert aus dem Prozess zurückgekehrt, gebrochen, heulend, psychisch am Ende.
    Auch ihm würde das drohen, grübelte Ketschmar seit Wochen. Sie würden ihn vorführen – in den Verhandlungssaal, den er sich vorzustellen versuchte. Öffentliche Sitzung. Wie viele würden kommen, Freunde, Bekannte? Kommen, um ihn, den Mörder zu sehen. Und er stellte sich vor, dass sich die Zuhörer zuflüsterten: So sieht also ein Mörder aus? Manuel hatte ihn darauf vorbereitet, dass er in Handschellen hereingeführt würde. Die Fußkette, die ihm nur kleine Schritte erlauben würde, wollte er ihm gerne ersparen. Schließlich war die Fluchtgefahr nicht sehr groß. Der Angeklagte hatte sich jedenfalls in den viereinhalb Monaten kooperativ gezeigt.
    Für den Prozess hatte er sich von Monika ein dunkles Jackett und eine dunkle Hose bringen lassen, dazu ein weißes Hemd und drunter ein T-Shirt. Er wollte nicht wie ein Schwerverbrecher aussehen. Nicht so, wie seine drei Zellengenossen, die aufs Äußere keinerlei Wert legten. Er rasierte sich, wusch die Haare, rührte aber das Frühstück nicht an.
    »Brauchst dich nicht so fein zu machen«, höhnte der Tankstellenräuber, der in vier Wochen vor Gericht gestellt wurde, »die Schickimickizeit ist für dich rum.« Er lachte laut und sprang von der oberen Liege herab, um sich vor Ketschmar zu stellen: »Deine Villa steht in Heimsheim, hey.«
    Ketschmar tat so, als ob ihn solche Bemerkungen, wie er sie seit Wochen zu hören bekam, nicht beeindruckten. Er konnte ohnehin keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wie sollte er eine solche Verhandlung durchstehen? Jetzt, wo es drauf ankam, auf jeden Satz, auf jedes Wort, auf den Tonfall, auf sein Auftreten, da war er völlig am Boden zerstört. Sie hatten ihn mürbe gemacht, ihn mit ihren Schriftsätzen erniedrigt. Jetzt, in diesem Zustand, sollte er sich verteidigen. In den Albträumen, die ihn seit Monaten plagten, sah er die drei Richter vor sich thronen. Selbstgefällig in Akten blätternd. Daneben die Schöffen, denen es lästig sein würde, einige Tage zu opfern. Einige Tage. Was waren einige Tage schon, wenn es für ihn um lebenslänglich ging?
    Als ihm die offizielle Vorladung zur Verhandlung in die Zelle gebracht worden war, erfuhr er auch, wer seine Richter sein würden. Die Namen sagten ihm nichts. Und auch die Schöffen – ein Mann und eine Frau – kannte er nicht. Er überlegte, wie alt diese sein mochten. Hatten die überhaupt eine Ahnung vom Leben – oder waren es Junge, die sich nicht vorstellen konnten, wie es früher war? Vielleicht hätte einer von ihnen sein Sohn oder seine Tochter sein können. Zum dritten Mal schon musste er auf die Toilette. Seine Blase spielte verrückt. Er stand gerade hinter dem Vorhang, als er das vertraute Geräusch hörte: das Scheppern eines zurückgeschobenen Riegels. Es hatte sich schon tief in seine Seele gebrannt. Dann drehte sich ein Schlüssel im Schloss und die schwere Zellentür schwenkte auf. »Ketschmar«, schnarrte eine Männerstimme, die draußen durch den Flur hallte. Ketschmar zog hastig den Reißverschluss seiner Hose hoch, kam um den Vorhang herum und sah zwei uniformierte Vollzugsbeamte, die ihm mit Handzeichen zu verstehen gaben, dass er die Zelle verlassen solle.
    »Hände«, kommandierte einer von ihnen und hielt Handschellen bereit. Ketschmar ließ sich das

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