Beweislast
andererseits an die vielen Baustellenfotos und das Fernglas Grauers denken musste. Und noch etwas fiel ihm ein. »Der Stange hat doch diese Bilder gesichtet – die Baustellen, die der Beamte fotografiert hat.« Die Kollegen lauschten aufmerksam. »Da hat es doch auch eines gegeben, das er so extrem vergrößert hat. Von einem Auto mit einem ausländischen Kennzeichen – erinnert ihr euch?«
Speckinger nickte. »Bei dem wir aber nicht wissen, aus welchem Land. Schwarzer Untergrund, wenn ich mich richtig entsinne. Entweder keines aus der EU oder ein altes.«
»Exakt«, bestätigte Häberle, ohne weiter darauf einzugehen.
»Und was sagt uns das – im Zusammenhang mit Blücher?«, fragte Linkohr verständnislos.
Häberle zuckte mit den Schultern.
Speckinger kannte den Chefermittler lange genug, um diese gespielte Gleichgültigkeit als Anzeichen für eine Überraschung deuten zu können.
Häberle zögerte. »Wenn ich mich richtig entsinne, hat auch Ketschmar mal von einem ausländischen Fahrzeug gesprochen, allerdings mit EU-Kennzeichen.«
Speckinger ließ seine Arme über die Rücklehne des Stuhls baumeln und legte die Beine übereinander. »Ich befürchte nur, dass alles, was wir zusammentragen, vergebliche Liebesmüh sein wird, wie man so schön sagt. Die Staatsanwaltschaft ist sich ihrer Sache ziemlich sicher.«
»Entscheidend ist, was das Gericht sagt«, konterte Häberle.
Linkohr hatte die Enttäuschung überwunden und zeigte neuen Eifer: »Deshalb dürfen wir nicht locker lassen.«
Seine beiden Kollegen stutzten. »Aber hallo, Herr Kollege«, stichelte Speckinger, »sind Sie jetzt zur Gegenseite gewechselt?« Er runzelte kritisch die Stirn. »Vergessen Sie nicht, dass es der Karriere schaden kann, wenn man dem Herrn Staatsanwalt widerspricht.«
Linkohr erwiderte nichts. Sollte es das wirklich geben – des eigenen Vorteils wegen einen Menschen einzusperren?
48
Helmut Bruhn hatte in diesen Frühlingstagen noch einmal für Aufregung gesorgt. Allerdings nicht, weil ihm etwas gegen den Strich gegangen wäre, sondern wegen seiner bevorstehenden Verabschiedung in den Ruhestand: Die gesamte Polizeidirektion, so schien es, war seit Wochen mit der Organisation der Feierstunde befasst, zu der sich immerhin der Landespolizeipräsident die Ehre geben würde. Pressesprecher Uli Stock hatte Einladungen versandt, die Sitzordnung fein säuberlich nach hierarchischen Gesichtspunkten bestimmt und den Rednern Tipps gegeben.
Je näher der Tag des Abschieds gekommen war, desto mehr vermischten sich bei manchen Mitarbeitern, wenn sie darüber nachdachten, anfängliche Freude mit aufkommendem Wehmut. Mag Bruhn gelegentlich auch tobend aus dem Raum gespurtet sein, letztlich aber – und das mussten sich alle eingestehen – galt er als gradlinig und korrekt. Man wusste schließlich, woran man bei ihm war. Und was nachkommen würde, darüber gab es bisher nur Spekulationen. Von einer Frau hatte man munkeln hören.
Als sich Häberle am Nachmittag der Verabschiedung eine Krawatte umband, konnte sich Linkohr eine Bemerkung nicht verkneifen: »Und wer schlägt künftig die Türen zu?« Drüben im großen Sitzungssaal des Landratsamtes hatten sich, wie bei solchen Anlässen üblich, alle eingefunden, die im Landkreis zu den Vertretern des öffentlichen Lebens zählten. Sogar Banker waren darunter.
Als Häberle in der Reihe der Hände schüttelnden Gäste zu Bruhn vorgedrungen war, gab ihm dieser mit gedämpfter Stimme einen unerwarteten Rat: »Bleiben Sie bei der Sache Ketschmar am Ball.« Für einen kurzen Moment sahen sich die beiden Männer in die Augen. Dann wandte sich Bruhn dem nächsten Gast zu.
Häberle nahm in der vierten Reihe Platz. Ihn hatte dieser eine Satz derart überrascht, dass er den Begrüßungsworten des Leiters der Polizeidirektion nicht folgen konnte. War Bruhn inzwischen auch nicht mehr davon überzeugt, dass sie den Richtigen geschnappt hatten? Wollte er ruhigen Gewissens in den Ruhestand gehen?
Häberle grübelte noch, während bereits der Landespolizeipräsident seine Laudatio über den scheidenden Kripochef hielt. Erst als Bruhn selbst – nach mehreren Rednern und Musikstücken – seine berufliche Karriere Revue passieren ließ und sogar, was keiner von ihm erwartet hätte, einen Seitenhieb auf die Politiker abfeuerte, die die Polizeiarbeit immer mehr erschwerten, da wurde Häberle wieder aufmerksam. Besonders gefiel ihm aber das Ende der Rede. Er werde, so sagte Bruhn, künftig morgens
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