Beweislast
Themen dieser Art konnte er sich in Rage reden. »Haben Sie schon mal mit einem Arbeitslosen geredet? Wochenlang kriegen die keinen Termin, werden vom Berater zur Berechnungsstelle fürs Arbeitslosengeld geschickt, müssen Formulare ohne Ende ausfüllen – und wehe, Sie müssen dort mal anrufen!« Häberle machte eine abfällige Geste. »Callcenter. Ja, Callcenter. Sie wählen die Nummer, die im Telefonbuch steht und Sie meinen, Sie hätten einen kompetenten Kenner der örtlichen Situation an der Strippe – doch dann werden Sie in ein Callcenter weitergeschaltet, irgendwo in der Republik.«
Linkohr nickte. Das hatte er auch schon gehört. Man hielt sich wohl die Arbeitslosen auf diese Weise vom Leib. Aber in Pressekonferenzen wurde vollmundig und mit einer Arroganz ohnegleichen verkündet, wie sich der Service verbessert habe. Und die Medien plapperten es nach. Häberle wünschte sich, dass er mal Gelegenheit bekommen würde, seine Meinung in der Chefetage anzubringen.
»Hornung«, hörte er Linkohrs Stimme wieder, »er hat auch keinen Eintrag im Register. Er gilt aber als autoritär und scheint bei seinen Kollegen nicht sonderlich beliebt zu sein. Er wird als Emporkömmling angesehen, der fehlende Kompetenz und Erfahrung durch Arroganz zu überspielen scheint.«
»Auch nichts Neues«, brummte Häberle, »sondern heutzutage das Übliche.«
»Ja – und dann bleibt da unser Ketschmar … so, wie ich die Lage einschätze, sollten wir uns mit dem etwas genauer befassen.«
»Gibt denn sein Lebenswandel Anlass dazu?«
Linkohr deutete auf seine Notizen. »Manchmal staunt man über das, worauf man stößt.«
31
Auch Manuels Optimismus konnte die Stimmung nicht verbessern. Als er das Haus seiner Schwiegerleute betrat, war die gedrückte Stimmung spürbar. Zum ersten Mal in seinem Berufsleben war er der Agierende und das Opfer gleichermaßen. Er fühlte sich in beide Rollen gedrängt, wollte helfen und Zuversicht verbreiten – und spürte gleichzeitig Unsicherheit und Angst. Einerseits wäre es ihm am liebsten gewesen, einen Kollegen zu beauftragen – andererseits hätte er dies aber seinem Schwiegervater nicht zumuten können. Nein,jetzt war er gefragt. Aber was würde geschehen, wenn alles danebenging? Wenn er seinen Schwiegervater nicht retten konnte? Wenn alle Fakten gegen ihn sprachen?
Gerhard Ketschmar saß zusammengesunken und mit geschlossenen Augen in einem Sessel, den er ans große Wohnzimmerfenster gerückt hatte. Manuel begrüßte seinen Schwiegervater mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Doch es wirkte verkrampft. »Lass uns in Ruhe reden«, sagte er und setzte sich auf das abgerundete Teil der Couch.
»Danke, dass du gekommen bist.« Ketschmars Stimme war schwach, er fuhr sich verzweifelt durch seine zersausten Haare. Sein Erscheinungsbild wirkte ungepflegt.
»Ich hab bereits mit diesem Kommissar telefoniert. Er scheint sehr zugänglich zu sein«, sprach Manuel ruhig weiter, »er hat vorgeschlagen, dass wir um die Mittagszeit zu ihm kommen sollen. 13 Uhr.«
Sein Schwiegervater schaute instinktiv auf seine Armbanduhr. Es war halb zwölf.
»Dann sollten wir mit offenen Karten spielen«, empfahl der junge Anwalt.
Ketschmar holte tief Luft. »Offene Karten«, wiederholte er verständnislos, »was soll ich dir denn noch sagen? Dass ich zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war? So sagt man doch, oder? Dass ich zur gleichen Zeit eine Beule in mein Auto gefahren habe, als da draußen jemand einen Mann überrollt hat? Dass ich zufällig dieses Opfer kenne?«
»Ja, all das werden wir dem Kommissar erklären.«
»Mensch, Manuel, du weißt doch selbst, wie die kombinieren. Vergiss nicht, dass sie schon mit einem Hausdurchsuchungsbefehl hier aufgetaucht sind.« Er schlug die Hände vors Gesicht.
»Der Kommissar hat mir am Telefon gesagt, dass du nicht der Einzige bist, den sie unter die Lupe nehmen.«
»Hat er dann auch etwas zu der Delle gesagt?« Ketschmars Stimme wurde wieder fester.
»Ja, ich hab ihn danach gefragt. Die Sachverständigen seien sich nicht sicher, ob der Schaden durch den Zusammenprall mit dem Mann entstanden ist.« Er machte eine Pause. »Daran siehst du schon, dass die Beweise bröckeln.«
»Beweise«, griff Ketschmar das Gesagte auf, »was heißt da Beweise? Es kann gar keine geben, verstehst du?« Dann jedoch sank er wieder in sich zusammen, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen oder bewusst geworden.
Am liebsten hätte Linkohr wieder seinen
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