Beweislast
weiter, sodass er mindestens zwei Zimmer weiter noch zu hören war, »außerdem will ich nichts, was uns in Schwierigkeiten bringt. Nichts, aber auch gar nichts.«
Häberle überlegte, woher Bruhn mal wieder Druck bekommen haben könnte. War es die Agentur für Arbeit, die um ihren Ruf fürchtete? Oder einer dieser verfeindeten Bauernkrieger? Möglicherweise auch die Firma Pottstett-Bau von diesem Eckert? Oder spielte dieser Anwalt von Ketschmar, dieser Manuel Traknow, womöglich in Ulm in gewissen gesellschaftlichen Kreisen eine Rolle, die beste Kontakte zum Innenminister pflegten? Häberle hätte sich über den Versuch solcher Einflussnahmen nicht gewundert, hatte er doch während seiner Stuttgarter Zeit häufig derlei Beziehungsgeflechte zu spüren bekommen. Doch er war lange genug in diesem Geschäft, dass er sich von niemandem in seine Ermittlungsarbeit hineinreden ließ. Dass er jetzt ein dezentes Grinsen erkennen ließ, trieb Bruhn vollends die Zornesröte ins Gesicht, vor allem aber auf den Kahlkopf. »Ich hoffe, wir haben uns verstanden«, brüllte er, machte auf der Stelle kehrt, verließ das Büro und warf die Tür, wie man es von ihm gewohnt war, mit einem ohrenbetäubenden Schlag ins Schloss.
»Show beendet«, witzelte Häberle, »ich überleg mir immer, warum tut der sich das noch an – ein Vierteljahr vor der Pensionierung?«
Linkohr legte die Akten zurück. »Dann können wir ja wieder zur Sache kommen … Haben Sie eigentlich schon etwas von den DNA-Spezialisten gehört?«
»Ja, natürlich. Am Taschentuch aus Eckerts Papierkorb hat sich verwertbares Material gefunden – und auf der Tastatur von Ketschmars Computer gab es mehr als genug. Die Frage wird nur sein, ob das Taschentuch von Eckert stammt – und ob der Computer auch noch von anderen benutzt wurde.«
Häberle nickte. »Jetzt warten wir ab, ob wir bereits einen Treffer haben und die Vergleichsproben mit dem Speichel auf Grauers Pullover identisch sind. Wenn das so ist, können wir weitermachen und den jeweiligen Herrn zu einer richtigen Blutprobe nötigen. Und falls es nicht so ist, tun wirs trotzdem.« Er lächelte. »Denn wie Sie richtig erkannt haben, kann unser Genmaterial theoretisch auch von anderen Menschen stammen.«
Der schrille Ton des Telefons erfüllte den Raum. Häberle drehte sich zu seinem Schreibtisch und nahm ab. »Ja?«
»Stange hier«, hörte er die Stimme des Computerexperten.
»Hallo, Herr Kollege. Wenn Sie anrufen, gibts immer etwas Spannendes.«
»Das kann man wohl sagen. Ich hab in Ketschmars Computer etwas äußerst Interessantes gefunden. Das dürfte Sie brennend interessieren.«
»Dann schießen Sie los«, forderte ihn Häberle auf.
»Sie sollten sich das selbst ansehen«, kam es zurück. Häberle verdrehte die Augen. Doch wenn Stange darauf bestand, es nicht am Telefon zu sagen, halfen keine flehenden Worte. Dann gab es nur eines: In sein Büro gehen, und sich das Neueste berichten zu lassen. Stange genoss es, staunende Gesichter um sich zu haben – vor allem von Menschen, die von Computern und ihrem geheimnisvollen Inneren so wenig Ahnung hatten wie Häberle.
Es war halb fünf und die Dämmerung schon weit fortgeschritten. Der Nebel war heute so zäh und dick, dass er während des ganzen Tages einen Großteil des Sonnenlichts zurückgehalten hatte. Aus dem anfänglichen Nieseln war ein richtiger Landregen geworden. Simon Eckert hatte die Bauarbeiter schon vor zwei Stunden nach Hause geschickt. Es machte keinen Sinn, sie in Kälte und Regen da draußen werkeln zu lassen. Wenn sich das Wetter weiterhin so entwickelte, würden sie ohnehin diese Baustelle bald einwintern müssen, wie Eckert es meist formulierte. Er hatte in seinem Bürocontainer die hellen Leuchtstoffröhren angeknipst und die elektrische Heizung auf die höchste Stufe gedreht. Von den Fensterscheiben, in denen er sich spiegelte, rann der Regen in kleinen Bächen herab.
Eckert hatte am Computer eine Exceltabelle aufgerufen und tippte mit den beiden Zeigefingern umständlich Arbeitszeiten ein, die er von handbeschriebenen Zetteln ablas. Das monotone Rauschen des Rechners mischte sich mit dem des ebenso gleichmäßig aufs Dach hämmernden Regens, der jetzt stärker geworden war. Für einen kurzen Moment hob der Bauleiter seinen Kopf. Irgendein Geräusch hatte ihn irritiert. Er blickte durchs Fenster zu der verlassenen Baustelle hinüber, die er nur noch schemenhaft erkennen konnte. Vermutlich hatte der aufkommende Wind an einem
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