Bewusstlos
kümmerte?
Noch eine weitere Viertelstunde lang versuchte er, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen und einzuschlafen, aber es gelang ihm nicht.
Schließlich stand er auf, zog seinen Bademantel über und schlich leise aus dem Zimmer.
Im Badezimmer ging er auf die Toilette, trank ein Glas mit kaltem Leitungswasser und trat dann auf den Portico.
Der Hof lag dunkel und ruhig da, die Tische waren abgeräumt, nichts erinnerte mehr an das Fest wenige Stunden zuvor. In der Ferne blinkten vereinzelte Lichter – die Straßenbeleuchtung in San Rocco oder Laternen vor den Haustüren einsamer Häuser.
Karl hielt für einen Moment inne. Er liebte diese stillen, warmen Sommernächte, und wenn im Castelletto keine Gäste gewesen wären, hätte er sich seine Matratze auf die Terrasse gelegt und unterm Sternenhimmel geschlafen. Etwas Schöneres konnte er sich nicht vorstellen.
Karl ging die Treppe hinunter und klopfte an Paolas Zimmertür. Einmal – zweimal – dreimal. Er wartete. Und dann hörte er ein leises Rascheln und eine dünne, verängstigte Stimme: »Ja?«
»Ich bin’s, Karl!«
Sie öffnete und versuchte mit ihrem zerschundenen Gesicht zu lächeln. »Ich hab schon geschlafen, aber das macht nichts. Komm rein.«
Er betrat das Appartement, schloss die Tür hinter sich ab und nahm sie in den Arm.
»Ich hab dich vermisst«, flüsterte er.
»Ich dich auch.« Paola lächelte und zog ihn aufs Bett.
»Die ganze Zeit habe ich gehofft, dass du kommst – und jetzt bist du da. Ich liebe dich.« Sie küsste ihn. »Ich liebe dich mehr als mein Leben.«
Raffael erwachte um Viertel nach vier, weil ein Käuzchen schrie.
Er war es aus Berlin gewohnt, dass Lastwagen durch die Straße bretterten, Autotüren schlugen, laute Stimmen durch die Nacht brüllten, dass Polizei- und Feuerwehrsirenen ertönten, dass Mülltonnen über den Hof schepperten – das alles störte ihn nicht. Aber der Schrei eines Käuzchens ließ ihn hochfahren.
Er brauchte einen Moment, um sich zu orientieren.
Nein, er war nicht mehr in San Rocco, dem Castelletto gegenüber, er war mittendrin. In einem kleinen Turmzimmer des Castellettos, in dem er nach dem Fest noch anderthalb Flaschen Rotwein getrunken hatte.
Er wunderte sich, dass er das noch wusste.
Das Käuzchen schrie immer noch und machte ihm Angst.
Die halbe Flasche Wein, die neben seinem Bett stand, trank er ohne abzusetzen leer. Augenblicklich fühlte er sich besser. Nicht mehr so verschlafen, eher so, als würde der Abend jetzt erst beginnen.
Er bemerkte, dass er seine Sachen noch anhatte. Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Da musste er ja ziemlich fertig gewesen sein, dass er sich komplett angezogen ins Bett geschmissen hatte.
Aber vielleicht war das gar nicht so ungünstig, denn jetzt brauchte er dringend noch etwas zu trinken.
Sein Vater schloss die Magazinräume und den Weinkeller nie ab. So viel hatte er schon mitbekommen, denn kein Gast wagte es, durch die privaten Kellerräume und weitläufigen Katakomben des Castellettos zu stolpern. Dort befanden sich Weinvorräte, die er in seinem ganzen Leben niemals würde austrinken können. Riesige Fässer mit eintausend, zweitausendfünfhundert und fünftausend Litern und Hunderte, vielleicht Tausende Sechserkartons mit bereits abgefüllten und etikettierten Weinen.
Vielleicht sollte er sich einfach mal einen ganzen Karton mit ins Zimmer nehmen, damit er nicht immer mitten in der Nacht im Weinkeller des Castellettos herumsuchen musste.
Aber jetzt hatte er Durst. Er wollte noch ein, zwei Stunden trinken und dann bis Mittag schlafen.
Raffael ging hinunter und stand im Hof. Noch dämmerte es nicht, aber den Eingang zum Keller fand er leicht. Er war links neben den Frühstücksräumen in einer Nische.
Raffael hoffte, dass die Tür nicht quietschte, und er hatte Glück. Das alte, schwere Holzportal ließ sich problemlos öffnen und gab keinen Ton von sich.
Links neben der Tür ertastete er den Lichtschalter, knipste die Lampe an und lief die Treppe hinunter bis in den Raum, in dem auch Weinproben stattfanden, wenn das Wetter es nicht erlaubte, im Hof zu sitzen.
Dort befand sich das Paradies eines jeden Weinliebhabers: viele verschiedene Weinflaschen zum Probieren, außerdem Gläser, Korkenzieher und Preislisten.
Raffael öffnete eine Flasche – Sorte und Jahrgang waren ihm völlig egal –, klemmte sich drei weitere Flaschen unter den Arm, steckte einen Korkenzieher ein und stieg die steinerne, ausgetretene Treppe wieder hinauf.
Dann setzte
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